Zwei Nachträge zu meinem letzten Post

Zur Interpretation der in meinem letzten Post dargestellten Daten möchte ich hier noch zwei Hinweise nachliefern. In meinem letzten Beitrag habe ich allerhand Infektionswellen dargestellt und etwas salopp darauf hingewiesen, dass man in diesen keinen (deutlichen) Effekt des Wegfalls der Maskenpflicht sieht.

1. Ich hätte noch genauer beschreiben können, wo man einen solchen Effekt eventuell doch sieht. Konkret war es in den Niederlanden und in der Schweiz so, dass auf einen Wegfall der Maskenpflicht sowie von 3G-Beschränkungen kurze Zeit später die Zahl der Coronafälle nach vorherigem Rückgang wieder nach oben schnellte. Möglicherweise hängt das mit der Rücknahme von Restriktionen zusammen. Da der Effekt aber nicht überall auftrat und sich zudem auch in diesen Ländern nicht wiederholte, als später die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln aufgehoben wurde, halte ich das für unwahrscheinlich. Vor allem aber haben die Länder, in denen die Aufhebung der Maskenpflicht vermeintlich einen Anstieg der Fallzahlen bewirkt hat, die Lockerungen in der zweiten Februarhälfte umgesetzt (Schweiz 17.2., Niederlande 25.2.). Ende Februar, Anfang März sind auch in Deutschland die Infektionen wieder angestiegen ohne dass sich an der Maskenpflicht hierzulande etwas geändert hätte. Das entspricht der Entwicklung seit Beginn der Pandemie: Die Wellen türmen sich auf und brechen weitgehend ungeachtet der lokalen Politik, und vor Ländergrenzen haben sie dabei noch nie halt gemacht. Ausnahmen sind Inselstaaten mit einem sehr strengen Quarantäneregime wie Neuseeland, das jedoch mittlerweile ebenfalls Maßnahmen gelockert hat und seit März durchgehend höhere Inzidenzen hat als Deutschland.

2. Inzidenzen sind nur begrenzt international vergleichbar. Sie sind stark davon abhängig, wie viel in einem Land getestet wird. In Deutschland, wo monatelang 3G- und 2G-Regeln galten und alle Schulkinder regelmäßig getestet wurden, wurden laut „Our World in Data“ bisher 376.000 bestätigte Coronafälle pro Million Einwohner gemeldet. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer auch in Deutschland wesentlich höher liegt. Vor allem ist aber anzunehmen, dass in Ländern, in denen weniger verdachtlose Tests durchgeführt wurden, auch weniger Infektionen aufgespürt wurden. Allein deshalb lassen sich Inzidenzen zwischen verschiedenen Ländern kaum vergleichen. Das einzige Maß, mit dem man verschiedene Länder sinnvoll vergleichen kann, ist meines Erachtens die Gesamtsterblichkeit – denn ob jemand tot oder lebendig ist, wird zumindest in Europa in der Regel durchaus länderübergreifend sauber erfasst. Innerhalb eines Landes, denke ich jedoch schon, dass Zeitreihen zur Inzidenz eine gewisse Aussagekraft haben, insofern davon auszugehen ist, dass sich das Testregime nicht stark verändert hat. Und das ist der Knackpunkt an meinem Vergleich zwischen den Ländern mit „Hotspot-Regel“ (Hamburg und MV) und denen ohne. Die Hotspot-Regel beinhaltete auch bestimmte 2G- und 3G-Beschränkungen, könnte also dazu geführt haben, dass in diesen beiden Ländern mehr getestet wurde. Dass man keinen Anstieg der Fallzahlen nach Wegfall der Maskenpflicht gesehen hat, könnte also theoretisch auch daran gelegen haben, dass weniger getestet wurde. Leider gibt es meines Wissens keine zuverlässige Statistik zur Gesamtzahl aller durchgeführten Coronatests. Das RKI veröffentlicht jedoch zweiwöchentlich die Teststatistiken einer nicht-repräsentativen Stichprobe von über 250 Laboren (Link). Zumindest in dieser Stichprobe haben sich die Testzahlen in den „Hotspot“-Ländern nicht anders entwickelt als in den anderen Ländern. Die Quote positiver Tests ist in beiden Kategorien sogar gesunken, was eher nicht darauf hindeutet, dass plötzlich viele Infektionen unerkannt blieben:

Ein deutscher Sonderweg

Jetzt also “Winterreifen”. Nach u.a. der Corona-Leine, der Bundesnotbremse und Söders unvergessenen Daumenschrauben ist das nicht die erste eigentümliche Metapher für weitreichende Grundrechtseinschränkungen. Das Besondere an den Winterreifen ist jedoch ihre Gewöhnlichkeit. Eine Notbremse zieht man nur in der Not, Winterreifen nutzt man, nun ja, im Winter. Der nun von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgestellte Entwurf eines neuen Infektionsschutzgesetzes gilt dementsprechend weitgehend Kraft des Kalenders. Eine Maskenpflicht im öffentlichen Personenfernverkehr und in Krankenhäusern soll weiterhin bundesweit gelten, die Länder bekommen die Möglichkeit, die Maskenpflicht auch im Nahverkehr (wie bisher auch), zudem jedoch auch in allen öffentlich zugänglichen Innenräumen sowie in Schulen einzuführen. Das sind die “Winterreifen”.

Zusätzlich gibt es die „Schneeketten“: „Stellt ein Landesparlament (…) eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen fest” (1), sollen weitere Maßnahmen (z.B. Obergrenzen für Veranstaltungen) gelten. War eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nicht im März 2020 die einzige Rechtfertigung für Grundrechtsbeschneidungen? Die Herren Buschmann und Lauterbach sehen die Maskenpflicht offenbar nicht als schweren Eingriff. Damit vertreten sie eine populäre Position. Auch im Evaluierungsbericht der Maßnahmen, der Anfang Juni vorgelegt wurde (2), hieß es, dass die Maskenpflicht die Bevölkerung weniger einschränke als andere Maßnahmen. Diejenigen, die sich durch das Tragen einer Maske nicht eingeschränkt fühlen, vergessen dabei jedoch oft, dass das keinesfalls für jede und jeden gilt. Und unabhängig davon, wie man selbst zum Masketragen steht: Es sollte offensichtlich sein, dass es die Gesellschaft tiefgreifend verändert, wenn es zur dauerhaften Konvention wird, im Winter in öffentlichen Räumen sein Gesicht verhüllen zu müssen.

In der deutschen Debatte wird die Entwicklung der Coronamaßnahmen seit Antritt der Ampel-Regierung gerne als Wettkampf zwischen Lauterbach und der FDP gesehen. Das blendet jedoch aus, dass sich der Wind weltweit gedreht hat. In Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, in Polen sowie in der Tschechischen Republik gibt es seit Monaten überhaupt keine Coronamaßnahmen mehr. Und auch in keinem anderen unserer Nachbarländer muss man in öffentlichen Verkehrsmitteln momentan sein Gesicht verbergen (einzige Ausnahme: Die Stadt Wien). Vielen unserer Nachbarn muss die deutsche Diskussion völlig aus der Zeit gefallen vorkommen.

Während hierzulande über eine „Wiedereinführung“ der Maskenpflicht diskutiert wird, besteht diese ja in Wirklichkeit fort. So darf man nur mit verhülltem Gesicht öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder eine Arztpraxis betreten. Beides gilt durchgehend seit über zwei Jahren, ungeachtet der aktuellen Krankenhausauslastung. Beides wurde und wird von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Diese Unterstützung ist jedoch selten enthusiastisch. Viele sehen die Maskenpflicht als „notwendiges Übel“. Beliebt ist auch die Theorie, die Maskenpflicht sei gewissermaßen ein Ersatz für andere Maßnahmen wie Lockdowns. Beides lässt sich nicht mit Fakten erhärten:

Notwendig?

Wie auch in Bezug auf andere Coronamaßnahmen, so lässt sich mit Bezug auf die Maskenpflicht keinesfalls eindeutig feststellen, dass Gebiete, die eine solche eingeführt haben, weniger Tote zu beklagen hatten. Es gibt eine umfassende wissenschaftliche Literatur, die versucht, die Effekte verschiedener Maßnahmen sowie weiterer Faktoren auseinanderzurechnen. Dazu gehören auch durchaus zahlreiche Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine Maskenpflicht die Pandemie eingedämmt hat, während andere Studien zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Fast alle Studien untersuchen jedoch abgeschlossene Zeiträume, z.B. ausschließlich die erste oder die zweite Infektionswelle. Das Ziel damals war, die Infektionskurve ausreichend zu strecken, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Zusätzlich wollte man sich auf diese Weise Zeit erkaufen, ausreichend Schutzmaterial zu beschaffen, Krankenhäuser optimal auf den kommenden Patientenansturm vorzubereiten, und auch Impfstoffe bereitzustellen. Spätestens seit alle Risikopatienten ein Impfangebot erhalten haben, also seit dem Frühjahr 2021, gibt es nichts mehr, worauf wir warten können. Es wird sich sowieso jeder früher oder später infizieren, und vermutlich nicht nur einmal.

In beinahe allen Diskussionen um die Maskenpflicht wird zudem versäumt, diese in ihre Bestandteile zu zerlegen. Es sind die Masken, die durchaus Übertragungen unwahrscheinlicher machen können. Und es ist die Pflicht, die eine massive Freiheitsbeschränkung darstellt. Es ist keinesfalls eindeutig, dass die Pflicht zu einer Eindämmung von Infektionen geführt hat. Wie es im Evaluierungsbericht der Expertenkommission heißt: „Die Problematik der Maske als Instrument zur Pandemiebekämpfung liegt aber auch darin, dass Masken nur dann wirklich wirksam sind, wenn sie von der Trägerin und vom Träger auch getragen werden wollen. Eine schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske, hat einen verminderten bis keinen Effekt.“ (2)

Auch für die Aussage, Masken seien ein Ersatz für andere Maßnahmen lässt sich in der Anschauung anderer Länder kein Beleg finden. Im Gegenteil: Wie ja auch am 3. April in Deutschland geschehen, beenden Regierungen die Maskenpflicht oft zeitgleich mit anderen Restriktionen. Länder mit strengen Maskengesetzen (z.B. Italien oder Österreich) hatten oft zeitgleich andere strenge Einschränkungen, während Länder mit weniger weitgehenden Maskenpflichten (z.B. Dänemark oder Norwegen) in der Regel auch weniger weitgehende andere Beschränkungen erlassen haben. Masken scheinen also in der Praxis nicht andere Maßnahmen zu verdrängen. Eher reproduzieren sie fortlaufend ein Klima der Angst und des Gehorsams, das einen fruchtbaren Boden für andere Einschränkungen bietet.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt den Begriff „Triage“ gelesen habe. Insofern hoffe ich, kein Strohmann-Argument zu bekämpfen, wenn ich an dieser Stelle kurz feststellen möchte, dass das Gesundheitssystem nicht kurz vor dem Zusammenbruch steht. Hier seht ihr den Verlauf der Hospitalisierung mit Covid-19 aus dem jüngsten Wochenbericht des RKI. Dort wird auch festgestellt, dass in den beiden Omicron-Wellen Covid-19 häufig nicht ursächlich für die Hospitalisierung war (S. 13).

(3)

Dass eine Überlastung des Gesundheitswesens immer auch ohne Masken abzuwenden war, zeigt nicht alleine Schweden. Die Maske ist so sehr zum Symbol der Pandemie geworden, dass fast aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist, dass die erste Infektionswelle ohne Maskenpflicht gebrochen wurde. Zwar mit Lockdown, aber der R-Wert ging damals bereits vor Infrafttreten der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zurück. (4). Überhaupt ist bisher jede Infektionswelle überall auf der Welt – ungeachtet der lokalen Politik – innerhalb einiger Wochen wieder abgefallen. Das Schreckensszenario des ungebremsten exponentiellen Wachstums bis jeder sich infiziert hat, ist nirgendwo auf der Welt eingetroffen. Das bedeutet nicht, dass politische Maßnahmen das Infektionsgeschehen nicht beeinflusst hätten. Mit Sicherheit haben manche Einschränkungen lokal die Ausbreitung verlangsamt. Es kann jedoch auch keine eindeutige Korrelation zwischen der Strenge von Maßnahmen und Erfolgsgrößen wie der Übersterblichkeit festgestellt werden. (z.B. (2)) Vor allem werden die möglichen Effekte von Maßnahmen wohl von anderen Faktoren deutlich überlagert. Reiche Länder mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem hatten allgemein eine geringere Übersterblichkeit, egal ob sie außerordentlich strenge Maßnahmen verhängten oder eher einen eher liberalen Ansatz pflegten.

Die Lockerung der Maskenpflicht in Deutschland war übrigens ein wunderbares natürliches Experiment, das einmal mehr gezeigt hat, wie gering der Effekt dieser Maßnahme ist. Während in 14 Bundesländern am 3. April die Masken in Geschäften fielen, machten Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern von der sogenannten Hotspot-Regelung Gebrauch und behielten die Maskenpflicht länger bei. In Mecklenburg-Vorpommern gab das Oberverwaltungsgericht einer Klage der AfD-Landtagsfraktion statt und kippte die Maskenpflicht am 22. April (5). In Hamburg wurde die Maskenpflicht am 30. April beendet (6). Entscheidet selbst: Seht ihr einen Unterschied im Verlauf der Infektionskurven?

Die Grafik habe ich in R erstellt, die zugrundeliegenden Daten habe ich aus dem „Covid 19 European Regional Tracker“ (7). Da es in diesem Artikel um die Maskenpflicht geht, sei nochmal erinnert, dass jeweils mit dem Ende der Maskenpflicht auch die 2G- und 3G-Beschränkungen weggefallen sind. Es führt zu weit, jede Beschränkung hier im Detail aufzuzählen. Es ist jedoch zu beachten, dass jeder Effekt, der sich aus den Infektionskurven eventuell ablesen lässt, nicht alleine auf die Maskenpflicht zurückzuführen ist, sondern auf die Gesamtheit der Maßnahmen. Allerdings finde ich nicht, dass man hier einen deutlichen Effekt sieht. Tatsächlich flacht der Abfall der Fallzahlen nach dem 3. April in 14 Ländern und nach dem 30. April in Hamburg geringfügig ab, der Effekt ist aber jeweils marginal. In Mecklenburg-Vorpommern ist es sogar umgekehrt so, dass sich ein Plateau bildet und direkt nach Abschaffung der Maskenpflicht die Zahlen wieder deutlich runtergehen. Ein guter Wirkungsnachweis für einen tiefgehenden Grundrechtseingriff sieht für mich anders aus.

Ein Blick ins Ausland

Ich habe einen Großteil der Pandemie in Schweden verbracht, weil ich dort nicht befürchten muss, unter Hausarrest gestellt zu werden oder nur noch maskiert auf die Straße treten zu dürfen. Insofern hat mich immer überrascht, dass viele Deutsche den Eindruck vermittelt haben, dass sich Leichenberge auf den Straßen türmen müssten sobald die Maskenpflicht abgeschafft würde. In Schweden haben die Menschen nie in großer Zahl Masken getragen. Zwischendurch gab es Empfehlungen zum Masketragen im öffentlichen Nahverkehr, aber meinen Beobachtungen zufolge, hat sich nie eine Mehrheit dran gehalten. In Geschäften sah man auch als die Inzidenz hoch und die Krankenhäuser voll waren kaum mehr als 10 Prozent Maskierte. Schweden hat für den Zeitraum seit 2020 eine Übersterblichkeit auf etwa dem gleichen Niveau wie Deutschland und liegt damit klar besser als der europäische Durchschnitt. Doch der „schwedische Sonderweg“ ist schon lange keiner mehr: Mittlerweile haben viele unserer Nachbarländer die Pandemie hinter sich gelassen.

Keines unserer Nachbarländer hat gegenwärtig eine so weitgehende Maskenpflicht wie Deutschland. Einzig in der Stadt Wien muss man gegenwärtig noch eine Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln tragen. In Österreich, Frankreich, Belgien und Luxemburg muss man noch in Gesundheitseinrichtungen Maske tragen (z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime, Arztpraxen, teilweise auch Apotheken). In Polen, Tschechien, den Niederlanden, der Schweiz und Dänemark existieren seit Monaten überhaupt keine Maskenpflichten mehr. Übrigens durften Kinder in Polen, Tschechien, Dänemark, Luxemburg und den Niederlanden bereits das gesamte letzte Schuljahr im Schulunterricht ihr Gesicht zeigen. Ich werde auf jedes unserer Nachbarländer kurz im einzelnen eingehen. Die Grafiken habe ich allesamt selbst in R erstellt. Die 7-Tage-Inzidenzen sind aus Daten von „Our World in Data“. (9)

Dänemark (10-11)

Dänemark hob zum 1. Februar alle Coronamaßnahmen auf, und das zu einem Zeitpunkt als die Inzidenz im Land bei rund 5000 lag. Zuvor galt bei unseren nördlichen Nachbarn eine Art 3G-System z.B. in Restaurants. Tests waren kostenlos. Eine Maskenpflicht galt in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr, nicht jedoch in Schulen. Jedoch konnte man bei Kontrollen z.B. im Zug angeben, aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit zu sein, ohne dass dafür ein ärztlicher Attest erforderlich war und ohne dass diese Gründe genauer erklärt werden mussten. Dänemark ist mit einer der geringsten Übersterblichkeiten durch die Pandemie gekommen. Dabei war die Politik durchgehend deutlich liberaler als in Deutschland. Ausgangssperren oder Maskenpflichten im Freien hat es nie gegeben. Auch eine Impfpflicht oder 2G wurden nie eingeführt. Während man sich in Deutschland im ersten Lockdown nur mit einer anderen Person treffen durfte, waren in Dänemark Versammlungen von bis zu 10 Personen erlaubt.

Niederlande (12-14)

In den Niederlanden wurde die Maskenpflicht in Geschäften bereits im Juni 2021 das erste Mal abgeschafft. Im November wurde sie wieder eingeführt und am 18. Februar zunächst für Gastronomiebetriebe und Kultureinrichtungen mit weniger als 500 Besuchern abgeschafft. Am 25. Februar 2022 wurde die Maskenpflicht sowie die 3G-Regel dann für beinahe alle Innenräume abgeschafft und am 23. März dann auch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Seitdem gehören die Niederlande wie z.B. England, Dänemark und Schweden zu den Ländern, in denen wieder Normalität nach 2019-Standards herrscht. Übrigens mussten Schüler in den Niederlanden im Unterricht keine Maske tragen.

Belgien (15-19)

Belgien gehört zu den wenigen unserer Nachbarländer, wo auch heute noch das Maskentragen verpflichtend ist, allerdings ausschließlich in Gesundheitseinrichtungen, also u.a. in Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken. Die allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen, z. B. In Geschäften und Schulen, ist jedoch gemeinsam mit der 3G-Regel bereits am 7. März abgeschafft worden. Am 23. Mai endete dann auch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Luxemburg (20-23)

Ähnlich wie in Belgien gilt in Luxemburg noch eine Maskenpflicht in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen. Schüler mussten im Unterricht bereits das gesamte Schuljahr 2021/22 keine Masken mehr tragen. Die allgemeine Maskenpflicht sowie die 3G-Regel wurden am 11. März abgeschafft. Am 14. Juni folgte das Ende der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Frankreich (24-26)

Auch in Frankreich besteht die Maskenpflicht im Gesundheitsbereich fort. Am 14. März wurde die Maskenpflicht in den meisten Innenräumen (z.B. Geschäfte und Schulen) abgeschafft, zeitgleich mit der Impfnachweispflicht in Gastronomie und Freizeiteinrichtungen. Zuvor wurde die Maskenpflicht bereits am 28. Februar dort aufgehoben, wo ein Impfnachweis zu erbringen war. Seit 16. Mai muss auch in öffentlichen Verkehrsmitteln keine Maske mehr getragen werden. Im Juni wollte die Stadt Nizza wollte die Maskenpflicht im Nahverkehr wieder einführen, ist damit aber vor Gericht gescheitert.

Schweiz (11, 27-30)

Bereits am 17. Februar wurden viele Coronamaßnahmen in der Schweiz aufgehoben. Dazu gehörte die Maskenpflicht in Innenräumen von z.B. Geschäften und Schulen ebenso wie 3G- und 2G-Regeln. Zum 1. April wurden die restlichen bestehenden Maßnahmen aufgehoben, also insbesondere die Maskenpflicht im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie im Gesundheitswesen. Wenn ich schreibe, dass „alle Maßnahmen“ aufgehoben wurden, meint das übrigens tatsächlich alle. So gilt in der Schweiz und in den anderen entsprechenden Ländern z.B. auch keine Isolationspflicht mehr für Infizierte. Die Schweiz war schon über die gesamte Pandemie gesehen liberaler geprägt als ihre Nachbarländer. Beispielsweise gab es in der Schweiz nie Ausgangssperren.

Österreich (31-34)

Österreich ist das einzige unserer Nachbarländer, dass sich in Sachen Coronaphobie mit Deutschland messen kann. Schon im vergangenen Winter waren es vor allem Österreich und Deutschland die international Aufsehen erregt haben mit ihrer rabiaten Diskriminierung Ungeimpfter, die sogar vor Ausgangssperren nicht halt machte. Österreich war dann auch das erste Land, das eine allgemeine Corona-Impfpflicht einführte, welche mittlerweile jedoch ausgesetzt wurde. Dennoch darf man auch in Österreich heute mehr als in Deutschland: Am 1. Juni wurde die allgemeine Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln für 3 Monate ausgesetzt. Nur die Stadt Wien machte eine Ausnahme. Dort gilt eine Maskenpflicht im Verkehr fortlaufend. Im Schulunterricht waren Masken in Österreich übrigens bereits seit dem 21. Februar nicht mehr Pflicht und in Schulgebäuden seit dem 25. April. Die Maskenpflicht in Österreich ist nur ausgesetzt, nicht beendet.

Tschechien (35-37)

Am 14. März wurde die Maskenpflicht in allen öffentlichen Innenräumen aufgehoben. Ausnahmen blieben öffentliche Verkehrsmittel sowie medizinische und soziale Einrichtungen. Seit dem 14. April muss man auch im öffentlichen Nah- und Fernverkehr keine Maske mehr tragen und seit dem 5. Mai gibt es überhaupt keine Corona-Einschränkungen mehr in der tschechischen Republik.

Polen (38-40)

Bereits das ganze Schuljahr 2021/22 mussten Schulkinder im Unterricht keine Maske tragen. Die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Innenräumen sowie alle weiteren Coronamaßnahmen wurden am 28. März abgeschafft.

Ursachenforschung

Was ist also der Grund dafür, dass sich die Deutschen an ihre Masken klammern? Eine klare Antwort habe ich auf diese Frage nicht. Drei mögliche Erklärungen fallen mir ein; über weitere Ideen würde ich mich freuen:

Der erste Grund trägt gerne Fliegen. Während andere Länder die Pandemie langsam aber sicher hinter sich ließen, entschieden die Deutschen sie um 4 Jahre zu verlängern, indem sie Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister ernannten. Dass dem ewigen Mahner und Warner Lauterbach ein Wegfall der Maskenpflicht überhaupt nicht gefallen würde, ist ja allgemein bekannt. Aber ganz alleine könnte Lauterbach natürlich nichts durchsetzen. Warum ist also die Unterstützung für die Maskenpflicht in der Bevölkerung noch so groß und der Widerstand so überschaubar?

Ein wichtiger Teil meines zweiten Erklärungsansatzes sind die „Ungeimpften“. Aber nicht so wie ihr jetzt vielleicht denkt. Mit einer geringen Impfquote hat der deutsche Sonderweg nämlich nichts zu tun. Die vermeintlich außergewöhnliche geringe Impfquote in Deutschland ist ohnehin ein Märchen. Die Impfquote in Deutschland ist deutlich höher als in manchen unserer Nachbarländer und bei Boostern pro Einwohner sind wir sogar Nummer 1! (41) Allerdings bezweifle ich, ob das heute noch irgendeinen Unterschied macht, da sowieso die allermeisten – geimpft oder nicht – mittlerweile eine oder mehrere Coronainfektionen hinter sich haben und somit nicht mehr „immunologisch naiv“ sind.

Wenn ich von „Ungeimpften“ spreche, setze ich diese bewusst in Anführungszeichen, weil ich mich nicht auf diejenigen beziehe, die keine Coronaimpfung erhalten haben, sondern auf das soziale Konstrukt des „Ungeimpften“ als Menschen zweiter Klasse, denen monatelang jede gesellschaftliche Teilhabe erschwert wurde oder gänzlich verwehrt blieb. Zu diesen „Ungeimpften“ gehörten bekanntlich auch nicht-Geboosterte oder mit in Deutschland nicht anerkannten Impfstoffen Geimpfte. Diese sind selbstverständlich nicht selbst für das deutsche Festhalten an Masken verantwortlich zu machen, zumal es mich nicht überraschen würde, wenn die Schnittmenge zwischen „Ungeimpften“ und Maskenpflichtgegnern recht groß wäre. Aber genau diese Schnittmenge ist das Problem. Seit März 2020 wurden Gegner der Coronamaßnahmen in Deutschland von der Mehrheitsgesellschaft diffamiert und lächerlich gemacht. Sicher, wer kontroverse Meinungen vertritt, muss mit Gegenwind rechnen. Aber die Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels und die Entschiedenheit, mit der jeder, der diesen nicht mitgehen wollte, attackiert wurde, war alles andere als gewöhnlich. In der allgemeinen Hetzstimmung 2020 in den sozialen Medien kam es vor, dass man als Mörder bezeichnet wurde, wenn man nur sein Haus verlassen hat.

Nachdem wir Maßnahmengegner im ersten Lockdown zu überrumpelt waren, um irgendeine organisierte Gegenreaktion zu zeigen, kam es im Laufe des Jahres 2020 durchaus zu großen Demonstrationen gegen die Maßnahmen. Die Demonstranten wurden jedoch von Maßnahmenbefürwortern regelmäßig als „Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker“ verunglimpft. Das liegt teilweise daran, dass das eine recht bequeme Art ist, seine politischen Gegner zu schwächen, ohne sich überhaupt inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Teilweise aber auch daran, dass große Teile der Anti-Maßnahmen-Bewegung, namentlich Querdenken, tatsächlich stark von Verschwörungstheoretikern geprägt waren. Einem unangenehm großen Teil der Anti-Maßnahmen-Proteste ging es weniger darum, Kosten und Nutzen der Maßnahmen an sich zu kritisieren, sondern sie agitierten immer gegen den vermeintlichen dahinterstehenden Plan. Damit haben Querdenken und Co. Ihrem Anliegen leider nachhaltig einen Bärendienst erwiesen. Die Großdemos von 2020 gingen schleichend über in die dezentralen Montagsspaziergänge, die sich eigentlich gegen Maßnahmen wie die Impfpflicht richteten, aber auch von Gruppen gekapert wurden, die statt eine freie Impfentscheidung zu fordern, sich darauf konzentrierten, die Impfungen selbst zu kritisieren, mit teils nachvollziehbaren, aber auch oft mit völlig absurden und sensationalistischen Begründungen (Stichwort „Depopulation“).

Versteht mich nicht falsch, ich bin jeder und jedem Einzelnen dankbar, der gegen Maskenpflicht & Co. auf die Straße gegangen ist. Ich ärgere mich sogar ein wenig über mich selbst, dass ich mich von den Verschwörungstheoretikern habe abschrecken lassen, zu Coronademos zu gehen als ich noch in Deutschland gelebt habe. Andererseits: Wenn sogar ich als Maßnahmengegner der ersten Stunde mich von den Querdenkern abgeschreckt gefühlt habe, wie sollte dann jemals die unentschiedene gesellschaftliche Mitte sich diesem chaotischen Haufen anschließen? Leider ist die Identifikation von Maßnahmengegnern mit Extremisten und Verschwörungstheoretikern nun fest im öffentlichen Bewusstsein der Mitte verankert. Und an dieser Stelle komme ich zurück auf die „Ungeimpften“. Während der gesellschaftliche Graben, der 2020 entstanden ist, in anderen Ländern seit 2021 etwas zugeschüttet werden konnte, haben 2G und die Impfpflichtdebatte in in Deutschland diesen immer weiter vertieft. Dass die politische Mitte so wenig Widerstand gegen die Maskenpflicht zeigt, obwohl die meisten Menschen aktuell keine Masken in Geschäften tragen, kann ich mir nur so erklären, dass man sich (bewusst oder unbewusst) nicht mit uns „Covidioten“ gemein machen will oder uns keinen Sieg gönnt.

Ein dritter Grund ist, was ich hier Expertokratie nennen möchte. Zu einer Politikmaßnahme, die so unmittelbar in unseren Alltag eingreift, hat wohl jede und jeder eine Meinung. Dazu gehört auch eine sehr große Zahl von Menschen, die dezidiert ablehnt, eine eigene Meinung zu haben und ihr Urteil voll und ganz „den Experten“ überlässt. Es ist keine neue Entwicklung, dass mündige Bürger die Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht selbst mitgestalten zu wollen, sondern ihr Urteil Autoritäten wie z.B. Religionsführern oder neuerdings wissenschaftlichen Expertenkomitees überlassen. Das steht ihnen selbstverständlich zu. Diese Denkweise hat jedoch in den letzten zwei Jahren eine solche Verbreitung gefunden, dass sie die demokratische Meinungsfindung insgesamt beschädigt. Eigentlich sollte in einer Demokratie das Regierungshandeln der öffentlichen Meinung folgen. Wenn aber die Regierung Experten bestimmt, die wiederum die Regierung beraten und ein kritischer Teil der Öffentlichkeit diese Entscheidungen dann aus Prinzip gutheißt, weil sie ja bereits von den Experten abgesegnet wurde und damit „der Wissenschaft folgt“, dann folgt letztlich die öffentliche Meinung dem politischen Handeln. So fällt mir auf, dass erst seitdem die meisten Coronamaßnahmen beendet wurden, ein großer Teil der Kommentatoren auf den unterschiedlichen Nachrichtenportalen diese kritisieren.

Doch auch unsere Nachbarländer haben Experten. Die dänische Regierung hat sich mit Sicherheit mit ihren wissenschaftlichen Beratern besprochen bevor sie am 1. Februar das Ende aller Coronamaßnahmen verkündet hat. Und längst hat der Wind der Veränderung auch Deutschland erfasst. Die große Mehrheit betritt mittlerweile – trotz hoher Inzidenzen – unmaskiert die Geschäfte und selbst an die Maskenpflicht im Nahverkehr hält sich längst nicht mehr jeder. Wer sich mit einer Maske schützen möchte, soll das auch in Zukunft tun dürfen. Und Infizierte können mit einer Maske andere schützen. Dass gesunde Menschen im Alltag nicht ihr Gesicht zeigen dürfen, war jedoch immer unverhältnismäßig. Die möglichen negativen Wirkungen von Masken sind vielseitig, hier nur eine unvollständige, spontane Liste:

1) Sie erschweren bzw. verhindern nonverbale Kommunikation. Beginnt nicht jede gute Liebesgeschichte im Film mit einem Lächeln?

2) Masken behindern die soziale Entwicklung von Kindern. Die Gesichtsausdrücke anderer Menschen deuten zu lernen ist eine unverzichtbare Fähigkeit. Dazu muss man diese aber auch sehen können.

3) Sie schließen Menschen, die wenig oder gar nicht hören können, völlig aus Gesprächen aus.

4) Masken landen regelmäßig als Plastikmüll in der Umwelt und auch im Meer und tragen zur ohnehin bereits katastrophalen Verschmutzung bei.

5) Auch wenn zumindest bisher die meisten Menschen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durchs Maskentragen erfahren haben: Ob es wirklich gesund ist, ständig durch Plastik zu atmen, ist zumindest fraglich. Bei Menschen mit empfindlicher Haut können Masken allergische Reaktionen auslösen. Zu anderen körperlichen Symptomen, die von Maskenträgern berichtet werden, gehören etwa Kopfschmerzen oder Schwindelgefühle.

7) Für einige gibt es kaum etwas Entwürdigenderes, als das eigene Gesicht verdecken zu müssen, um irgendwo Einlass gewährt zu bekommen. Kein anderer Körperteil steht derart stellvertretend für unsere gesamte Person.

8) Masken erzeugen Angst. Sie symbolisieren, dass andere Menschen vor allem eine Gefahr darstellen und keine Bereicherung.

Gründe gegen die Maskenpflicht gibt es noch mehr. Auch wenn mir der Name nach den letzten zwei Jahren wie Hohn erscheint, so gilt in Deutschland formal die „freiheitlich-demokratische Rechtsordnung“, nicht allein die „demokratische Rechtsordnung“. Grundrechte wie die allgemeine Freiheit der Person dürfen nur eingeschränkt werden, wenn gewichtige Gründe das verlangen und jede Einschränkung muss verhältnismäßig sein. Auch wenn vielen die negativen Wirkungen der Maskenpflicht geringfügig erscheinen mögen, so zeigt doch u.a. das natürliche Experiment der Hotspot-Regelung, dass diesen negativen Wirkungen keine positiven entgegenstehen. Ich bestreite keinesfalls, dass Masken Übertragungen verhindern können, wenn sie von Infizierten korrekt getragen werden. Die Maskenpflicht für Gesunde aber schadet mehr als sie nutzt. Nicht zuletzt, indem sie ein Klima der Angst aufrechterhält. Seien wir lieber mutig wie unsere Nachbarn.

Quellen:

(1) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/fortentwicklung-infektionsschutzgesetzes-ifsg.html

(2) https://www.tagesschau.de/gutachten-sachverstaendigenrat-corona-101.pdf

(3) https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-08-04.pdf?__blob=publicationFile

(4) https://www.tagesspiegel.de/wissen/der-ueberfluessige-lockdown-ja-der-r-wert-sank-schon-vor-der-kontaktsperre-aber-/25767642.html

(5) https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Gericht-kippt-Corona-Hotspot-Regel-in-MV-Das-gilt-jetzt,coronavirus6634.html

(6) https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Hamburg-ohne-Maskenpflicht-Eine-Bilanz-nach-dem-Wochenende,corona10628.html

(7) https://github.com/asjadnaqvi/COVID19-European-Regional-Tracker

(8) https://ourworldindata.org/excess-mortality-covid

(9) https://ourworldindata.org/covid-cases

(10) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/corona-daenemark-lockerungen-101.html

(11) https://www.a-good-reason.eu

(12) https://www.nrz.de/region/niederrhein/niederlande-lockern-weiter-fast-keine-corona-massnahmen-mehr-id232568759.html

(13) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/niederlande-corona-pandemie-maskenpflicht-101.html

(14) https://www.euregio.eu/de/aktuell/covid-19-update-17-februar-2022-schrittweise-lockerungen-in-den-niederlanden/

(15) https://www.vlaanderen.be/maatregelen-tijdens-de-coronacrisis

(16) https://www.wallonie.be/fr/actualites/coronavirus-covid-19-mesures-regionales

(17) https://coronavirus.brussels/nl/2022/07/05/mondmaskerplicht-en-ventileren/

(18) https://www.politico.eu/article/belgium-lift-most-coronavirus-measures/

(19) https://www.politico.eu/article/belgium-ease-last-coronavirus-rules-face-mask-public-transport/

(20) https://covid19.public.lu/de/hygienemassnahmen.html

(21) https://chronicle.lu/category/primary-secondary-schools/37618-mask-mandate-dropped-in-luxembourgs-schools

(22) https://www.luxtimes.lu/en/luxembourg/luxembourg-to-drop-masks-most-other-covid-measures-6221f4ecde135b9236b79875?utm_internal_campaign=magnet_related_articles

(23) https://www.mobiliteit.lu/en/covid19-end-of-mandatory-masks-on-public-transport-from-14-june-2022/

(24) https://www.service-public.fr/particuliers/actualites/A15543?lang=en

(25) https://www.forbes.com/sites/alexledsom/2022/05/12/france-travel-masks-dropped-but-what-about-boosters-and-red-tape/?sh=2f9dc996683e

(26) https://actu.fr/provence-alpes-cote-d-azur/nice_06088/covid-19-le-port-du-masque-finalement-pas-obligatoire-dans-les-transports-a-nice_52348150.html

(27) https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87216.html

(28) https://news.sbb.ch/artikel/95750/coronavirus-ende-der-maskenpflicht-im-oeffentlichen-verkehr

(29) https://www.zg.ch/behoerden/gemeinden/steinhausen/schule/organisation/aktuelles/informationen-zum-coronavirus

(30) https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/aktuell/medienmitteilungen.msg-id-87801.html

(31) https://www.news.at/a/corona-unterricht-schulen

(32) https://www.meinbezirk.at/c-lokales/keine-maskenpflicht-mehr-an-schulen_a5289385

(33) https://www.wien.gv.at/presse/2022/05/31/oebb-ffp2-maskenpflicht-in-zuegen-bussen-und-auf-bahnhoefen-nur-noch-in-wien

(34) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/oesterreich-maskenpflicht-105.html

(35) https://deutsch.radio.cz/maskenpflicht-tschechien-nur-noch-oepnv-und-einigen-einrichtungen-8744334

(36) https://www.expats.cz/czech-news/article/czech-republic-coronavirus-news-for-april-4

(37) https://www.czech-tourist.de/corona-tschechien.htm

(38) https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/panorama/coronavirus/beitraege_neu/2022/03/polen-maskenpflicht-corona-lockerungen-quarantaene.html

(39) https://cde.news/polish-students-to-return-back-to-schools-normally-no-masks-in-class/

(40) https://www.gov.pl/web/coronavirus/temporary-limitations

(41) https://ourworldindata.org/covid-vaccinations

Hier ist der Quellcode für alle von mir erstellten Grafiken: https://github.com/sternenklar/A-Good-Reason/blob/main/Maskenpflicht%20Ende.R

Eine lockdownkritische Zusammenfassung des Berichtes des Sachverständigenausschusses zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik

Mehr als 2 Jahre nach dem ersten Lockdown und mehr als ein Jahr nach dem entsprechenden Parlamentsbeschluss wurde am 1. Juli nun endlich der Bericht des Sachverständigenausschusses vorgelegt, der die von Bundes- und Landesregierungen verhängten Maßnahmen wissenschaftlich evaluieren sollte.

Das Gremium bestand zu Beginn aus 18 Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, die ihrer Aufgabe ehrenamtlich nachgekommen sind. 9 Mitglieder wurden von den Bundestagsfraktionen vorgeschlagen (Union 3, SPD 2, Grüne, Linke, FDP, AfD je 1), 9 Mitglieder wurden vom Gesundheitsministerium unter der Führung von Jens Spahn besetzt. Vermehrt vertreten waren vor allem Juristen und verschiedene Vertreter aus Gesundheitswesen und -forschung, von der Psychologie bis zur Virologie. Auch ein Ökonom und eine Soziologin gehörten zum Ausschuss.

Die bekanntesten Namen dürften die beiden Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck sein. Drosten war als enger Berater der Bundesregierung lange das Gesicht der deutschen Coronapolitik. Aber auch Hendrik Streeck war mit seiner „Heinsberg-Studie“ früh in den Schlagzeilen und wurde im Frühjahr 2020 in den Medien als ein Gegenspieler Drostens dargestellt, der für eine schnellere Lockerung von Maßnahmen eintrat. Man kann über die letzten zwei Jahre die Positionierung Streecks wohl als insgesamt liberaler einordnen, jedoch sollte dabei nicht übersehen werden, dass auch Streeck einen Lockdown Anfang 2021 als in der damaligen Situation alternativlos beschrieben hat.

Nachdem die Frist für den Evaluierungsbericht zunächst von Ende 2021 auf Ende Juni 2022 verschoben wurde, irritierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Evaluierer noch im April 2021 mit der Aussage, dass eine Verlängerung der Frist oder sogar eine neue Ausschreibung beschlossen würde. Einige Beobachter mutmaßten, Lauterbach könnte die Bewertung der Maßnahmen absichtlich verzögern wollen, da sie nicht in seinem Sinne ausfallen würden. Christian Drosten, Lauterbachs Kamerad im „Team Vorsicht“ verließ den Sachverständigenrat wenige Tage später mit der Begründung, dass Ausstattung und Zusammensetzung nicht zuließen, eine wissenschaftlich hochwertige Evaluierung durchzuführen. Die Vermutung liegt nahe, dass auch für Drostens Rückzug inhaltliche Differenzen eine Rolle gespielt haben könnten, denn der Bericht liest sich keinesfalls wie ein Loblied auf die restriktive Politik, die Drosten und Lauterbach zuvorderst vertreten haben.

Erster Eindruck und erste Reaktionen

Insgesamt liest sich der Bericht aus meiner Sicht überraschend ausgewogen. Schon im ersten Absatz wird nicht nur festgestellt, dass die Coronamaßnahmen das Ziel hatten „die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden“, sondern es wird auch anerkannt, dass die Maßnahmen „teilweise erheblich in den Alltag und die Grundrechte der Bevölkerung eingegriffen haben.“ Es werden mögliche positive und negative Wirkungen sämtlicher getroffener Maßnahmen gleichermaßen benannt. An den meisten Stellen vermeidet es der Bericht unter Hinweis auf die unzureichende Evidenz, klare Wertungen vorzunehmen. Als Maßnahmengegner stimmt mich der Bericht insofern zuversichtlich, als dass die Wirksamkeit vieler Maßnahmen von in der gesellschaftlichen Mitte anerkannten, öffentlich eingesetzten Experten deutlicher hinterfragt wird als ich das bisher je wahrgenommen habe. Auch wenn der Bericht an einigen Stellen für die Zukunft eine liberalere Politik vorschlägt, werden möglicherweise wirkungslose Restriktionen keinesfalls rückwirkend verurteilt. Dabei ist selbstverständlich klar, dass das Fehlen von Wirksamkeitsnachweisen kein Nachweis für das Fehlen von Wirkung ist.

Würden die Regierungen von Bund und Ländern jedoch den Evaluierungsbericht beherzigen, wäre kaum mit einem erneuten Lockdown zu rechnen und auch der Lockdown für Ungeimpfte (2G) würde vermutlich ein Thema der Vergangenheit bleiben. Gleichwohl stellen die Autoren des Evaluationsberichtes an vielen Stellen klar, dass konkrete Empfehlungen wie die Ablehnung von 2G vor dem Hintergrund der aktuell vorherrschenden Omicron-Variante getroffen werden. Insgesamt legt der Bericht im Gegensatz zur Coronapolitik der letzten zwei Jahre ein stärkeres Gewicht auf die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Doch Lob und Kritik sind an vielen Stellen so vorsichtig formuliert wie es nur in einem Dokument vorkommt, dass einem Konsensentscheid von Wissenschaftlern und Juristen entspringt. Das leitet dazu ein, zwischen den Zeilen zu lesen, sodass sich Maßnahmengegner und -befürworter jeweils bestätigt fühlen werden.

Am Nachmittag der Veröffentlichung war dann auch die erste Überschrift, die einem bei bild.de entgegenschrie: „Zurück zu Knallhart-Regeln! Gesundheitsminister pfeifen aufs Corona-Zeugnis, Bild kennt den Herbst-Plan der Bundesländer“. Insgesamt beobachte ich schon seit einiger Zeit, dass man beim Axel Springer-Verlag lockdownkritischer geworden ist. So titelte welt.de: „Eine Generalabrechnung mit der Politik und dem RKI“. Bei der öffentlich-rechtlichen Tagesschau wurde hingegen die Unentschiedenheit des Textes betont: „Ein Gutachten mit vielen Fragezeichen: Der Sachverständigenrat hat ein Gutachten über die Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen vorgelegt – vor allem zu Beginn waren diese demnach sinnvoll. Die Aussagekraft ihres Berichts halten aber selbst die Experten für beschränkt.“ zeit.de titelte „Was haben die Corona-Maßnahmen gebracht?“ und die sueddeutsche.de „Experten: Corona-Maßnahmen waren nur teilweise wirksam“. Bei Spiegel Online und faz.net sorgte die vermeintliche Aussagelosigkeit des Berichtes sogar dafür, dass er erst weit unten auf der Startseite, hinter einer Vielzahl anderer Meldungen erschien.

Die Debatte in der Woche nach Veröffentlichung des Berichts verlief nach bekanntem Schema. Wie es ein Kommentar in den Tagesthemen treffend zusammenfasst: „Die Maßnahmen-Gegner sagen: “Seht ihr, es ist nicht erwiesen, dass die Maßnahmen wirken.” Die Maßnahmenbefürworter sagen: “Es ist aber auch nicht erwiesen, dass sie nicht wirken.” “ Eine so geführte Debatte wird natürlich der Komplexität des Themas nicht gerecht. So haben Maßnahmengegner und -befürworter in der Regel auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Maßnahmen überhaupt wirken sollen und welche positiven Wirkungen gegen welche negativen Wirkungen aufgerechnet werden können und dürfen. Dass aber positive und negative Wirkungen von Maßnahmen überhaupt endlich auf höchster Ebene hinterfragt und öffentlich diskutiert werden erscheint mir bereits als gewaltiger Fortschritt. So kritisiert der Sachverständigenrat die bisherige Kommunikationspolitik deutlich und mahnt an, dass das Zulassen kontroverser Debatten die Möglichkeiten der Pandemiebekämpfung begünstigt hätte. Karl Lauterbach hat derweil bereits angekündigt, der Bericht solle „kein Bremsklotz“ bei den Vorbereitungen auf den Herbst sein. Mit einer erneuten Verschärfung der Corona-Maßnahmen können wir also fest rechnen, aber zumindest bleibt zu hoffen, dass die Zeiten, in denen man für Kritik an Coronamaßnahmen öffentlich als Covidiot, Schwurbler, Coronaleugner oder schlimmeres angefeindet wurde langsam aber sicher vorbei sind.

Nichts genaues weiß man nicht

Die Verantwortung dafür, dass sich die Autoren an vielen Stellen nicht recht darauf festlegen können, Maßnahmen positiv oder negativ zu bewerten, tragen in ihren Augen die Regierungen. Sie kritisieren, dass eine Evaluierung von Maßnahmen erst im Nachhinein mit einiger Verzögerung erfolgt ist und dass es versäumt wurde, Maßnahmen durch eine Datenerhebung zu begleiten, die eine bessere Evaluation ermöglicht hätte. Die Kritik an der fehlenden wissenschaftlichen Begleitung der Maßnahmen fällt deutlicher aus als die Kritik an den Maßnahmen selbst. Dabei beziehen sich die Gutachter auch auf die jahrelang versäumte Pandemieplanung und ein fehlendes nationales Forschungskonzept im Bereich der öffentlichen Gesundheit. So zitieren sie aus einem Dokument aus dem Jahr 2001, in dem das Robert-Koch-Institut bereits anmahnt, die Wirksamkeit nicht-pharmazeutischer Maßnahmen im Pandemiefall besser zu erforschen. Das habe aber nicht zuletzt das RKI selbst bis heute versäumt.

Aus „Gründen der Komplexität“ behandelt die Evaluierungskommission nicht die Wirksamkeit von Impfungen und fügt an, dass dies auch die (einrichtungsbezogene) Impfpflicht einschließt. Es hätte an dieser Stelle sicherlich Berücksichtigung finden können, dass die Wirksamkeit der Impfung nicht das einzige Kriterium zur Evaluierung einer Impfpflicht ist. So oder so verweisen die Autoren stattdessen ausschließlich auf die einschlägigen Veröffentlichungen des RKI sowie der Ständigen Impfkommission (STIKO). Was sagt der Bericht also zu den weiteren Maßnahmen?

Maske: Nur freiwillig effektiv

Der Sachverständigenrat bezeichnet Masken als ein im Vergleich zu anderen Maßnahmen „vergleichbar günstiges und kosteneffektives Instrument“, das die Bevölkerung weniger einschränke als andere Maßnahmen. Die Evidenz für unerwünschte Wirkungen sei gering.

Allgemein wird in der öffentlichen Diskussion viel zu selten zwischen dem Effekt von Masken in Laborstudien, dem Effekt von Masken im Alltag und dem Effekt der Maskenpflicht entschieden. Auch der Sachverständigenrat trifft diese Unterscheidung nicht immer. Jedoch war ich überrascht, ein zentrales Argument von Gegnern der Maskenpflicht an solch prominenter Stelle wiederzufinden: „Die Problematik der Maske als Instrument zur Pandemiebekämpfung liegt aber auch darin, dass Masken nur dann wirklich wirksam sind, wenn sie von der Trägerin und vom Träger auch getragen werden wollen.“

So formulieren die Autoren zunächst einleitend in gewohnt vorsichtiger Wortwahl „dass die Erkenntnisse die Schlussfolgerung zulassen, dass das Tragen von Masken ein wirksames Mittel der Pandemiebekämpfung sein kann“. Gleich im nächsten Satz halten sie jedoch fest: „Eine schlechtsitzende und nicht eng anliegende Maske hat jedoch einen verminderten bis keinen Effekt.“ Später heißt es sogar „Eine schlechtsitzende Maske hat auch keinen, ggf. sogar einen negativen Effekt.“ Die Sachverständigen machen deutlich, dass mehr Aufklärung über das richtige Tragen von Masken Not tut, weil sich dieses eben nicht erzwingen lässt.

Merkwürdigerweise geht der Text nicht darauf ein, dass nach wie vor eine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sowie in Gesundheitseinrichtungen gilt, wenn es heißt: „Sollte eine Maskenpflicht im weiteren Verlauf dieser Pandemie oder bei zukünftigen Pandemien wieder in Erwägung gezogen werden, sollte diese auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben.“ Ungewöhnlich deutlich kritisiert wird die Maskenflicht im Freien, die eine Maßnahme darstellte, „deren Sinnhaftigkeit zweifelhaft und/oder nicht nachvollziehbar ist“. Zudem sei eine generelle Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken sei aus den vorliegenden Daten nicht ableitbar.

Lockdowns: eine Frage des Zeitpunkts – und „unstrittig angemessen?“

Der Begriff „Lockdown“ ist nicht klar definiert und wurde in verschiedenen regionalen und zeitlichen Kontexten sehr unterschiedlich genutzt. Im vorliegenden Bericht wird ein Lockdown als „ein Bündel von unterschiedlichen Maßnahmen von Kontaktbeschränkung verstanden“. Leider gelingt es auch dem Sachverständigenausschuss nicht, dieses Bündel genauer auseinanderzudröseln. So wird beispielsweise nicht zwischen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen entschieden.

Wenn man wissen will, wie sich die Autoren zu – wie auch immer definierten – Lockdowns positionieren, lohnt es sich die komplette Zusammenfassung im Original zu lesen:

„Aufgrund der biologischen und physikalischen Plausibilität gibt es keinen Zweifel, dass generell die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt. Gerade zu Beginn einer Pandemie ist es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung soweit es geht zu reduzieren, um das Gesundheitssystem auf die bevorstehende Krankenlast einzustellen und um, wenn möglich, den Ausbruch lokal zu begrenzen. Wenn erst wenige Menschen infiziert sind, wirken Lockdown-Maßnahmen deutlich stärker. Je länger ein Lockdown dauert und je weniger Menschen bereit sind, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer ist der Effekt und umso schwerer wiegen die nicht-intendierten Folgen. Die Wirksamkeit eines Lockdowns ist also in der frühen Phase des Containments am effektivsten, verliert aber den Effekt wiederum schnell.“

Dass die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt ist ein Allgemeinplatz, den wohl auch die entschiedensten Lockdowngegner kaum bestreiten würden. Die Frage ist ja, ob Lockdowns als extreme Eingriffe des Staates in die Rechte des Einzelnen effektiv, notwendig und verhältnismäßig waren. So haben Menschen auch ohne staatliche Eingriffe ihre Kontakte während der Corona-Pandemie erheblich reduziert. Zudem sind nicht alle Kontakte gleichermaßen riskant. In der Zusammenfassung wird zudem bereits benannt, dass es entscheidend ist, dass die Menschen bereit sind, Maßnahmen mitzutragen.

So fassen die Autoren Studien aus dem Ausland sowie aus Deutschland während der ersten Infektionswelle zusammen, wonach die Wendepunkte im Infektionsgeschehen oft eben nicht mit der Einführung bestimmter (Lockdown-)maßnahmen zusammenfallen. Freilich halten sie dabei fest, dass es sich nicht ausschließen lässt, dass bereits die Ankündigung oder Antizipation bestimmter Maßnahmen zu Verhaltensänderungen führt. Was an dieser Stelle nicht explizit genannt wird, ist die Möglichkeit, dass Verhaltensänderungen auch durch bloße Appelle, ohne Einführung von Zwangsmaßnahmen, passiert wären.

Wenn es zudem heißt „Die Wirksamkeit eines Lockdowns ist also in der frühen Phase des Containments am effektivsten, verliert aber den Effekt wiederum schnell.“ muss man das im Zusammenhang mit den drei Phasen des Pandemieplans deuten, wie ihn das Papier hier beschreibt:

„In der ersten Phase „Containment“ geht es um die Eindämmung also die Vermeidung jeder Infektion. In der zweiten Phase „Protection“ fokussieren sich die Maßnahmen auf den Schutz vor schweren Erkrankungen sowie Tod und auf den Schutz vulnerabler Gruppen. Die dritte Phase „Mitigation“ konzentriert sich auf die Minderung weiterer Folgen. So sollen besonders schwere Krankheitsverläufe und Krankheitsspitzen mit einer Überlastung der Versorgungssysteme vermieden werden. Der Übergang von „Containment“ zu „Protection“ wird empfohlen, falls gehäuft Fälle auftreten, die nicht mehr auf bekannte Fälle zurück zuführen sind und eine Verbreitung nicht mehr zu verhindern ist. Dieser Strategiewechsel ist nicht konsequent umgesetzt worden.“

Alle Lockdowns in Deutschland wurden zu einer Phase verhängt, in der gehäuft Fälle aufgetreten sind, die nicht mehr auf bekannte Fälle zurückzuführen waren. Es überrascht daher, dass der Ausschuss an anderer Stelle behauptet, es dürfte „weitgehend unstrittig sein, den ersten Lockdown zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 als angemessen einzuordnen. Das Wissen über die Krankheit und ihre Folgen sowie über die Wirksamkeit der möglichen Schutzmaßnahmen war gering und das vermutete Schadenspotenzial äußerst hoch.“ Letzteres bezieht sich wohl auf die Krankheit, könnte sich rein syntaktisch aber genauso auf das Schadenspotenzial der Schutzmaßnahmen beziehen – eine unbeabsichtigte Steilvorlage für Lockdowngegner. Rückwirkend jedenfalls zeigt sich in Bezug auf den Verlauf der Inzidenz in Deutschland: „Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Inzidenz und der Maßnahmenstärke nicht erkennbar“.

Von Sorgen und Nöten

Zugleich sei die bislang ersichtliche Bandbreite der nicht-intendierten Wirkungen der Lockdown-Maßnahmen erheblich. Genannt wird etwa die Verschlechterung der Grundgesundheit durch verschobene medizinische Behandlungen und nicht erkannte Erkrankungen. Studien zeigten deutliche Defizite in der Vorsorge und Versorgung im Gesundheitsbereich während der Lockdowns. Schulschließungen führten zu Bildungseinbußen insbesondere bei sozial Benachteiligten. Es kam zu einer Steigerung häuslicher Gewalt. Sogar „existenzielle Nöte“ finden als nicht-intendierte Wirkung von Lockdown-Maßnahmen Erwähnung.

Die Autoren stellen fest, „dass die Pandemie erhebliche psychosoziale Auswirkungen insbesondere auf Frauen und jüngere Menschen hatte.“. Es ist nicht einfach, Effekte der Pandemie selbst und Effekte der Lockdownmaßnahmen auseinanderzurechnen. Es wird jedoch an einigen Stellen klar, dass die Evaluierer den Maßnahmen eine erhebliche Mitschuld an negativen psychosozialen Entwicklungen geben. So erklärt sich die psychologische Belastung von Müttern auch dadurch, dass sie unvorbereitet gezwungen wurden, erheblich mehr Zeit in die Kinderbetreuung zu investieren. Erwähnung findet auch etwa die deutliche Verschlechterung von depressiven Erkrankungen im Lockdown.

Der Blick ins Ausland

Als Grund dafür, dass die meisten Länder zu Lockdowns gegriffen haben, nennen die Gutachter auch das Simulationsmodell von Ferguson et al., das „auf Grundlage einer nicht qualitätsgeprüften wissenschaftlichen Publikation vorgelegt wurde und große Beachtung fand. Die Modelle sagten enorm hohe Opferzahlen durch die SARS-Cov-2 Pandemie vorher und zeigten deutlich positive Effekte von Veranstaltungsabsagen, Schul- und Geschäftsschließungen.“. Genauer gehen die Autoren nicht auf Ferguson et al. ein, aber wir wissen heute, dass sich die damals ausgemalten Schreckensszenarien in keinem Land bewahrheitet haben, ungeachtet der lokalen Politik.

Die wachsende wissenschaftliche Literatur, die die Effekte von Lockdownmaßnahmen im internationalen Vergleich bewertet, wird nicht in der Tiefe besprochen. Aussagen über die Effekte von Lockdownmaßnahmen im internationalen Vergleich zieht die Kommission im wesentlichen aus einer einzigen Studie mit Daten aus der ersten Welle (Banholzer et al.). Demzufolge waren Faktoren, die zu einem positiveren Effekt von Maßnahmen geführt haben ein hohes Bruttoinlandsprodukt, effektiv handelnde Regierungen, hohe Gesundheitsausgaben, ein niedriger Anteil älterer Menschen, eine niedrige Bevölkerungsdichte und Haushaltsgröße sowie wenig informelle Beschäftigung. Eine weitere Studie mit Daten aus der Welle (Mendez-Brito et al.) soll zeigen, dass sich Lockdowns als umso wirksamer erwiesen, wenn diese zu einem frühen Zeitpunkt durchgeführt wurden. Es bleibt jedoch unklar, inwiefern diese Beobachtung auch hinsichtlich der Wirkung nach über 2 Jahren Pandemie noch zulässig ist.

Auch globale Entwicklungen bleiben nicht unerwähnt, für die die Autoren Lockdowns als mögliche Ursache ansehen: „Geschätzte 276 Millionen Menschen weltweit, die Hunger leiden oder sich in der Gefahr einer Hungersnot befinden, geschätzte 2 Millionen Mädchen und junge Frauen, deren Genitalien beschnitten wurden und eine erdrückende Zunahme an Kinderehen sind hier in den Blick zu nehmen.“

Weitere Maßnahmen: 1G reicht

Die gemeinhin als „2G“ und „3G“ bezeichneten Maßnahmen werden im Papier weitgehend gemeinsam behandelt, obwohl ersteres den faktischen Ausschluss sogenannter „Ungeimpfter“ aus dem öffentlichen Leben bedeutete und somit einem Lockdown für diese Minderheit gleichkam. Allerdings behandeln die Sachverständigen 2G und 3G vor allem deshalb gemeinsam, weil die Wirksamkeit beider Maßnahmen kaum evaluiert werden könne. Wenigstens vor dem Hintergrund der aktuell zirkulierenden Varianten und Impfstoffe, rät die Kommission dazu, bei einer Wiedereinführung von Zugangsbeschränkungen diese als Testpflicht für alle, unabhängig vom Impfstatus, umzusetzen.

Die Kontaktnachverfolgung hält der Ausschuss in der Frühphase der Pandemie grundsätzlich für sinnvoll, stellen jedoch zur Frage, inwiefern der Nutzen dieser Maßnahme dem schlichten Anraten des Zuhausebleibens bei symptomatischer Erkrankung überwiegt.

Die Effekte von Schulschließungen auf eine Ausbreitung des Coronavirus bleiben offen. Jedoch sind Schulschließungen mit einer Zunahme psychischer und physischer Belastungen assoziiert. So werden sie mit einer Zunahme psychischer Erkrankungen sowie von Fettleibigkeit in Verbindung gebracht. Es sind wohl auch Schulschließungen gemeint, wenn es heißt: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die COVID-19-Pandemie negativ auf die Lerndauer, Lernfähigkeit und den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern ausgewirkt hat, insbesondere in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen.“

Positiv bewertet werden die wirtschaftspolitischen Eingriffe. Die Evaluierer geben eine Schätzung wieder, wonach preisbereinigte Verluste beim BIP über die Jahre 2020 und 2021 insgesamt rund 350 Millarden Euro betrugen. Zudem seien die gesamtwirtschaftlichen Investitionen rund 60 Milliarden niedriger gewesen. Schwere dauerhafte Auswirkungen auf Erwerbstätigkeit und Insolvenzen seien dennoch auch dank staatlicher Hilfen ausgeblieben.

Rechtliche Aspekte

In der juristischen Einschätzung sticht vor allem hervor, dass die „Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sowie die damit einhergehende Verlagerung wesentlicher Entscheidungsbefugnisse auf die Exekutive „im rechtswissenschaftlichen Spektrum ganz überwiegend für verfassungswidrig gehalten“ werden. So gebe es keinen „keinen Verfassungssatz, wonach die Regeln des Grundgesetzes nur für einen – wie auch immer zu definierenden – Normalzustand gelten.“

Als besonders problematisch benennt das Papier, dass das Entscheidungszentrum bezüglich getroffener Maßnahmen lange bei der sogenannten „Bund-Länder-Runde“ gelegen habe. Dieses Gremium ist nicht bloß im Grundgesetz nicht vorgesehen, sondern es stellte auch einen „klassischen Fall einer reinen Top-down-Kommunikation“ dar, dem alles fehlte, was bei parlamentarischer Beratung selbstverständlich gewesen wäre: „der öffentliche Austausch von Argumenten, das Vortragen von Begründungen, die Gegenüberstellung kontroverser Positionen sowie die Präsentation von Alternativen“.

Durch „zahlreiche, nicht immer glückliche Änderungen und Ergänzungen“ wurde das Infektionsschutzgesetz „ohne dass ein konsistentes Gesamtkonzept zu erkennen wäre“ zu einem „recht unübersichtlichen und unsystematischen Regelungsgeflecht“. Ursprünglich sei dieses Gesetz eigentlich auf die Bewältigung punktueller Krankheitsausbrüche von begrenzter Dauer ausgelegt gewesen. Erst im Laufe der Corona-Pandemie sei es um „Rechtsgrundlagen für weitgehende Eingriffe in das gesamte gesellschaftliche Leben“ ergänzt worden, die nach der Empfehlung der Evaluierer „in Zukunft systematisiert und präziser gefasst“ werden sollen.

Konkret schlagen die Sachverständigen etwa vor, den Status des „Immunen“ ins Gesetz aufzunehmen und im Infektionsschutzgesetz festzuschreiben, dass Immune von Schutzmaßnahmen auszunehmen sind, soweit nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse davon auszugehen ist, dass sie nicht oder nur unwesentlich zum Infektionsgeschehen beitragen. Zudem stellen die Gutachter fest, dass eine Absonderung (also Quarantäne oder Isolation) „nach herrschender Meinung“ eigentlich nur ein Richter aussprechen dürfe. Stattdessen werden seit über zwei Jahren millionenfach Menschen von der exekutiven Gewalt zu Quarantäne oder Isolation verpflichtet. Die Gutachter regen eine Diskussion darüber an, aus diesen verfassungsrechtlichen Gründen die Absonderung durch eine in ihrer Wirkung ähnliche Maßnahme zu ersetzen, wie etwa die „Verkehrsbeschränkungen“ in Österreich. Dort dürfen Betroffene ihre Wohnung verlassen, müssen aber z.B. Veranstaltungen fernbleiben und dürfen den ÖPNV nicht nutzen.

Fazit: Further research is needed

Bei den meisten Kommentatoren überwiegt die Enttäuschung darüber, dass die Hauptaussage des Papiers zu sein scheint, dass man nichts sagen könne, weil es schlicht an belastbaren Daten fehle. Wenn man sich seit längerem mit der Frage beschäftigt, ob und wie Corona-Maßnahmen wirken, überrascht diese Aussage nicht. Zudem ist Wissenschaft immer unabgeschlossen und wissenschaftliche Stellungnahmen enden regelmäßig mit der Feststellung, dass mehr geforscht werden müsse. Die Formulierung „further research is needed“ (weitere Forschung ist nötig) hat in der Wissenschaft Meme-Charakter und sogar ihren eigenen Wikipedia-Artikel.

Natürlich sollte die Kritik an der wissenschaftlichen Begleitung der Coronapolitik ernst genommen werden. Offensichtlich besteht hier dringender Verbesserungsbedarf. Aber auch die besten epidemiologischen Daten nehmen uns keine moralischen Entscheidungen ab. So ist etwa die Datenlage in Großbritannien laut dem Sachverständigenausschuss um ein Vielfaches besser. Die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen ist dort jedoch nicht minder umstritten als in Deutschland und erst recht nicht ihre Gebotenheit. Während hierzulande „Team Vorsicht“ bis zuletzt die Nase vorne hatte, feierte man auf der Insel bereits zweimal einen „Freedom Day“. Letztlich ist die Frage, ob eine bestimmte Politik richtig oder falsch ist ja auch keine, die ein wissenschaftliches Gremium zu entscheiden hat. Selbst wenn irgendwann einmal so etwas wie ein Konsens erreicht werden sollte, dass Schulschließungen eine bestimmte Zahl von Krankenhauseinweisungen verhindert haben, kann uns das als Gesellschaft und jedem und jeder Wahlberechtigen nicht die Entscheidung abnehmen, ob es uns diese Zahl X wert ist, die psychologischen, sozialen und gesundheitlichen Folgen für Kinder, Jugendliche und Eltern in Kauf zu nehmen.

Aus meiner Sicht zeichnet sich das Sachverständigengutachten gerade dadurch aus, dass es einen Tunnelblick auf epidemiologische Kennziffern vermeidet. Wohl auch dank der multidisziplinären Besetzung finden die überwiegend negativen ökonomischen, psychologischen, gesundheitlichen und sozialen Folgen der Maßnahmen durchweg Beachtung. In Anbetracht der kritisierten Datenlage, der Komplexität der Fragen und nicht zuletzt der Diversität der Kommissionsmitglieder war ich sogar an einigen Stellen davon überrascht, wie sehr sich der Bericht festlegt. So fällt die rechtliche Beurteilung der Coronapolitik teilweise sehr deutlich negativ aus. Gleichzeitig wird der erste Lockdown als angemessen bezeichnet, was ironischerweise gerade mit dem damals schlechten Wissensstand begründet wird. Bekanntlich ist die Abwesenheit von Evidenz für etwas nicht gleichbedeutend mit der Evidenz von dessen Abwesenheit. Dass die Sachverständigen im Großen und Ganzen keine deutlichen positiven Effekte der Maßnahmen aufzeigen können, beweist also nicht deren Wirkungslosigkeit. Andererseits wäre eine wahrhaft deutliche Wirkung wohl auch bei schlechter Datenlage ersichtlich.

Aus meiner Sicht bringt der Bericht des Sachverständigenausschuss zahlreiche Argumente in die öffentliche Diskussion ein, die bisher ausschließlich oder überwiegend von Lockdownskeptikern vertreten wurden. In einem entscheidenden Punkt hätte ich mir aber eine kritischere Betrachtungsweise gewünscht: Meiner Meinung nach stünde ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat in der Bringschuld, weitreichende Grundrechtseinschränkungen im Vorfeld stichhaltig zu begründen. Der vorliegende Bericht hat einmal mehr dargestellt, dass das nicht geschehen ist. Praktisch alles, was unsere Gesellschaft ausmachte wurde im März 2020 unter Strafe gestellt, und das einzig auf der Basis von Modellrechnungen, die sich im Nachhinein als hanebüchen erwiesen haben, sowie anhand von Plausibilitätsannahmen über die Wirkung von Maßnahmen, die noch immer auf ihre empirische Bestätigung warten. Bis heute hat es keine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse der Lockdowns gegeben, was angesichts der Tragweite der Maßnahmen kaum möglich sein dürfte. Dass dieses Vorgehen auch zwei Jahre später in einem Dokument, das etliche „nicht-intendierte Wirkungen“ der Lockdowns benennt als „weitgehend unstrittig“ angemessen erachtet wird, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich messe mir nicht zu, eine bessere Einschätzung zur gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Bilanz von Lockdowns geben zu können als die Mitglieder des Sachverständigenausschusses. Aber dass die Angemessenheit des Lockdowns alles andere als unstrittig war und ist, ist eine Tatsache. Ich hoffe, das Gutachten hilft dem einen oder anderen, sich endlich dieser Tatsache zu stellen. Um mit einem weiteren Zitat aus dem Bericht zu enden:

„Abweichende Meinungen wurden in der Corona-Pandemie oft vorschnell verurteilt. Wer alternative Lösungsvorschläge und Denkansätze vorschlug, wurde nicht selten ohne ausreichenden Diskurs ins Abseits gestellt. Dabei ist eine erfolgreiche Pandemiebewältigung ohne den offenen Umgang mit Meinungsverschiedenheiten langfristig nur schwer denkbar.“