Ein deutscher Sonderweg

Jetzt also “Winterreifen”. Nach u.a. der Corona-Leine, der Bundesnotbremse und Söders unvergessenen Daumenschrauben ist das nicht die erste eigentümliche Metapher für weitreichende Grundrechtseinschränkungen. Das Besondere an den Winterreifen ist jedoch ihre Gewöhnlichkeit. Eine Notbremse zieht man nur in der Not, Winterreifen nutzt man, nun ja, im Winter. Der nun von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgestellte Entwurf eines neuen Infektionsschutzgesetzes gilt dementsprechend weitgehend Kraft des Kalenders. Eine Maskenpflicht im öffentlichen Personenfernverkehr und in Krankenhäusern soll weiterhin bundesweit gelten, die Länder bekommen die Möglichkeit, die Maskenpflicht auch im Nahverkehr (wie bisher auch), zudem jedoch auch in allen öffentlich zugänglichen Innenräumen sowie in Schulen einzuführen. Das sind die “Winterreifen”.

Zusätzlich gibt es die „Schneeketten“: „Stellt ein Landesparlament (…) eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen fest” (1), sollen weitere Maßnahmen (z.B. Obergrenzen für Veranstaltungen) gelten. War eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nicht im März 2020 die einzige Rechtfertigung für Grundrechtsbeschneidungen? Die Herren Buschmann und Lauterbach sehen die Maskenpflicht offenbar nicht als schweren Eingriff. Damit vertreten sie eine populäre Position. Auch im Evaluierungsbericht der Maßnahmen, der Anfang Juni vorgelegt wurde (2), hieß es, dass die Maskenpflicht die Bevölkerung weniger einschränke als andere Maßnahmen. Diejenigen, die sich durch das Tragen einer Maske nicht eingeschränkt fühlen, vergessen dabei jedoch oft, dass das keinesfalls für jede und jeden gilt. Und unabhängig davon, wie man selbst zum Masketragen steht: Es sollte offensichtlich sein, dass es die Gesellschaft tiefgreifend verändert, wenn es zur dauerhaften Konvention wird, im Winter in öffentlichen Räumen sein Gesicht verhüllen zu müssen.

In der deutschen Debatte wird die Entwicklung der Coronamaßnahmen seit Antritt der Ampel-Regierung gerne als Wettkampf zwischen Lauterbach und der FDP gesehen. Das blendet jedoch aus, dass sich der Wind weltweit gedreht hat. In Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, in Polen sowie in der Tschechischen Republik gibt es seit Monaten überhaupt keine Coronamaßnahmen mehr. Und auch in keinem anderen unserer Nachbarländer muss man in öffentlichen Verkehrsmitteln momentan sein Gesicht verbergen (einzige Ausnahme: Die Stadt Wien). Vielen unserer Nachbarn muss die deutsche Diskussion völlig aus der Zeit gefallen vorkommen.

Während hierzulande über eine „Wiedereinführung“ der Maskenpflicht diskutiert wird, besteht diese ja in Wirklichkeit fort. So darf man nur mit verhülltem Gesicht öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder eine Arztpraxis betreten. Beides gilt durchgehend seit über zwei Jahren, ungeachtet der aktuellen Krankenhausauslastung. Beides wurde und wird von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Diese Unterstützung ist jedoch selten enthusiastisch. Viele sehen die Maskenpflicht als „notwendiges Übel“. Beliebt ist auch die Theorie, die Maskenpflicht sei gewissermaßen ein Ersatz für andere Maßnahmen wie Lockdowns. Beides lässt sich nicht mit Fakten erhärten:

Notwendig?

Wie auch in Bezug auf andere Coronamaßnahmen, so lässt sich mit Bezug auf die Maskenpflicht keinesfalls eindeutig feststellen, dass Gebiete, die eine solche eingeführt haben, weniger Tote zu beklagen hatten. Es gibt eine umfassende wissenschaftliche Literatur, die versucht, die Effekte verschiedener Maßnahmen sowie weiterer Faktoren auseinanderzurechnen. Dazu gehören auch durchaus zahlreiche Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine Maskenpflicht die Pandemie eingedämmt hat, während andere Studien zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Fast alle Studien untersuchen jedoch abgeschlossene Zeiträume, z.B. ausschließlich die erste oder die zweite Infektionswelle. Das Ziel damals war, die Infektionskurve ausreichend zu strecken, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Zusätzlich wollte man sich auf diese Weise Zeit erkaufen, ausreichend Schutzmaterial zu beschaffen, Krankenhäuser optimal auf den kommenden Patientenansturm vorzubereiten, und auch Impfstoffe bereitzustellen. Spätestens seit alle Risikopatienten ein Impfangebot erhalten haben, also seit dem Frühjahr 2021, gibt es nichts mehr, worauf wir warten können. Es wird sich sowieso jeder früher oder später infizieren, und vermutlich nicht nur einmal.

In beinahe allen Diskussionen um die Maskenpflicht wird zudem versäumt, diese in ihre Bestandteile zu zerlegen. Es sind die Masken, die durchaus Übertragungen unwahrscheinlicher machen können. Und es ist die Pflicht, die eine massive Freiheitsbeschränkung darstellt. Es ist keinesfalls eindeutig, dass die Pflicht zu einer Eindämmung von Infektionen geführt hat. Wie es im Evaluierungsbericht der Expertenkommission heißt: „Die Problematik der Maske als Instrument zur Pandemiebekämpfung liegt aber auch darin, dass Masken nur dann wirklich wirksam sind, wenn sie von der Trägerin und vom Träger auch getragen werden wollen. Eine schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske, hat einen verminderten bis keinen Effekt.“ (2)

Auch für die Aussage, Masken seien ein Ersatz für andere Maßnahmen lässt sich in der Anschauung anderer Länder kein Beleg finden. Im Gegenteil: Wie ja auch am 3. April in Deutschland geschehen, beenden Regierungen die Maskenpflicht oft zeitgleich mit anderen Restriktionen. Länder mit strengen Maskengesetzen (z.B. Italien oder Österreich) hatten oft zeitgleich andere strenge Einschränkungen, während Länder mit weniger weitgehenden Maskenpflichten (z.B. Dänemark oder Norwegen) in der Regel auch weniger weitgehende andere Beschränkungen erlassen haben. Masken scheinen also in der Praxis nicht andere Maßnahmen zu verdrängen. Eher reproduzieren sie fortlaufend ein Klima der Angst und des Gehorsams, das einen fruchtbaren Boden für andere Einschränkungen bietet.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt den Begriff „Triage“ gelesen habe. Insofern hoffe ich, kein Strohmann-Argument zu bekämpfen, wenn ich an dieser Stelle kurz feststellen möchte, dass das Gesundheitssystem nicht kurz vor dem Zusammenbruch steht. Hier seht ihr den Verlauf der Hospitalisierung mit Covid-19 aus dem jüngsten Wochenbericht des RKI. Dort wird auch festgestellt, dass in den beiden Omicron-Wellen Covid-19 häufig nicht ursächlich für die Hospitalisierung war (S. 13).

(3)

Dass eine Überlastung des Gesundheitswesens immer auch ohne Masken abzuwenden war, zeigt nicht alleine Schweden. Die Maske ist so sehr zum Symbol der Pandemie geworden, dass fast aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist, dass die erste Infektionswelle ohne Maskenpflicht gebrochen wurde. Zwar mit Lockdown, aber der R-Wert ging damals bereits vor Infrafttreten der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zurück. (4). Überhaupt ist bisher jede Infektionswelle überall auf der Welt – ungeachtet der lokalen Politik – innerhalb einiger Wochen wieder abgefallen. Das Schreckensszenario des ungebremsten exponentiellen Wachstums bis jeder sich infiziert hat, ist nirgendwo auf der Welt eingetroffen. Das bedeutet nicht, dass politische Maßnahmen das Infektionsgeschehen nicht beeinflusst hätten. Mit Sicherheit haben manche Einschränkungen lokal die Ausbreitung verlangsamt. Es kann jedoch auch keine eindeutige Korrelation zwischen der Strenge von Maßnahmen und Erfolgsgrößen wie der Übersterblichkeit festgestellt werden. (z.B. (2)) Vor allem werden die möglichen Effekte von Maßnahmen wohl von anderen Faktoren deutlich überlagert. Reiche Länder mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem hatten allgemein eine geringere Übersterblichkeit, egal ob sie außerordentlich strenge Maßnahmen verhängten oder eher einen eher liberalen Ansatz pflegten.

Die Lockerung der Maskenpflicht in Deutschland war übrigens ein wunderbares natürliches Experiment, das einmal mehr gezeigt hat, wie gering der Effekt dieser Maßnahme ist. Während in 14 Bundesländern am 3. April die Masken in Geschäften fielen, machten Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern von der sogenannten Hotspot-Regelung Gebrauch und behielten die Maskenpflicht länger bei. In Mecklenburg-Vorpommern gab das Oberverwaltungsgericht einer Klage der AfD-Landtagsfraktion statt und kippte die Maskenpflicht am 22. April (5). In Hamburg wurde die Maskenpflicht am 30. April beendet (6). Entscheidet selbst: Seht ihr einen Unterschied im Verlauf der Infektionskurven?

Die Grafik habe ich in R erstellt, die zugrundeliegenden Daten habe ich aus dem „Covid 19 European Regional Tracker“ (7). Da es in diesem Artikel um die Maskenpflicht geht, sei nochmal erinnert, dass jeweils mit dem Ende der Maskenpflicht auch die 2G- und 3G-Beschränkungen weggefallen sind. Es führt zu weit, jede Beschränkung hier im Detail aufzuzählen. Es ist jedoch zu beachten, dass jeder Effekt, der sich aus den Infektionskurven eventuell ablesen lässt, nicht alleine auf die Maskenpflicht zurückzuführen ist, sondern auf die Gesamtheit der Maßnahmen. Allerdings finde ich nicht, dass man hier einen deutlichen Effekt sieht. Tatsächlich flacht der Abfall der Fallzahlen nach dem 3. April in 14 Ländern und nach dem 30. April in Hamburg geringfügig ab, der Effekt ist aber jeweils marginal. In Mecklenburg-Vorpommern ist es sogar umgekehrt so, dass sich ein Plateau bildet und direkt nach Abschaffung der Maskenpflicht die Zahlen wieder deutlich runtergehen. Ein guter Wirkungsnachweis für einen tiefgehenden Grundrechtseingriff sieht für mich anders aus.

Ein Blick ins Ausland

Ich habe einen Großteil der Pandemie in Schweden verbracht, weil ich dort nicht befürchten muss, unter Hausarrest gestellt zu werden oder nur noch maskiert auf die Straße treten zu dürfen. Insofern hat mich immer überrascht, dass viele Deutsche den Eindruck vermittelt haben, dass sich Leichenberge auf den Straßen türmen müssten sobald die Maskenpflicht abgeschafft würde. In Schweden haben die Menschen nie in großer Zahl Masken getragen. Zwischendurch gab es Empfehlungen zum Masketragen im öffentlichen Nahverkehr, aber meinen Beobachtungen zufolge, hat sich nie eine Mehrheit dran gehalten. In Geschäften sah man auch als die Inzidenz hoch und die Krankenhäuser voll waren kaum mehr als 10 Prozent Maskierte. Schweden hat für den Zeitraum seit 2020 eine Übersterblichkeit auf etwa dem gleichen Niveau wie Deutschland und liegt damit klar besser als der europäische Durchschnitt. Doch der „schwedische Sonderweg“ ist schon lange keiner mehr: Mittlerweile haben viele unserer Nachbarländer die Pandemie hinter sich gelassen.

Keines unserer Nachbarländer hat gegenwärtig eine so weitgehende Maskenpflicht wie Deutschland. Einzig in der Stadt Wien muss man gegenwärtig noch eine Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln tragen. In Österreich, Frankreich, Belgien und Luxemburg muss man noch in Gesundheitseinrichtungen Maske tragen (z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime, Arztpraxen, teilweise auch Apotheken). In Polen, Tschechien, den Niederlanden, der Schweiz und Dänemark existieren seit Monaten überhaupt keine Maskenpflichten mehr. Übrigens durften Kinder in Polen, Tschechien, Dänemark, Luxemburg und den Niederlanden bereits das gesamte letzte Schuljahr im Schulunterricht ihr Gesicht zeigen. Ich werde auf jedes unserer Nachbarländer kurz im einzelnen eingehen. Die Grafiken habe ich allesamt selbst in R erstellt. Die 7-Tage-Inzidenzen sind aus Daten von „Our World in Data“. (9)

Dänemark (10-11)

Dänemark hob zum 1. Februar alle Coronamaßnahmen auf, und das zu einem Zeitpunkt als die Inzidenz im Land bei rund 5000 lag. Zuvor galt bei unseren nördlichen Nachbarn eine Art 3G-System z.B. in Restaurants. Tests waren kostenlos. Eine Maskenpflicht galt in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr, nicht jedoch in Schulen. Jedoch konnte man bei Kontrollen z.B. im Zug angeben, aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit zu sein, ohne dass dafür ein ärztlicher Attest erforderlich war und ohne dass diese Gründe genauer erklärt werden mussten. Dänemark ist mit einer der geringsten Übersterblichkeiten durch die Pandemie gekommen. Dabei war die Politik durchgehend deutlich liberaler als in Deutschland. Ausgangssperren oder Maskenpflichten im Freien hat es nie gegeben. Auch eine Impfpflicht oder 2G wurden nie eingeführt. Während man sich in Deutschland im ersten Lockdown nur mit einer anderen Person treffen durfte, waren in Dänemark Versammlungen von bis zu 10 Personen erlaubt.

Niederlande (12-14)

In den Niederlanden wurde die Maskenpflicht in Geschäften bereits im Juni 2021 das erste Mal abgeschafft. Im November wurde sie wieder eingeführt und am 18. Februar zunächst für Gastronomiebetriebe und Kultureinrichtungen mit weniger als 500 Besuchern abgeschafft. Am 25. Februar 2022 wurde die Maskenpflicht sowie die 3G-Regel dann für beinahe alle Innenräume abgeschafft und am 23. März dann auch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Seitdem gehören die Niederlande wie z.B. England, Dänemark und Schweden zu den Ländern, in denen wieder Normalität nach 2019-Standards herrscht. Übrigens mussten Schüler in den Niederlanden im Unterricht keine Maske tragen.

Belgien (15-19)

Belgien gehört zu den wenigen unserer Nachbarländer, wo auch heute noch das Maskentragen verpflichtend ist, allerdings ausschließlich in Gesundheitseinrichtungen, also u.a. in Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken. Die allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen, z. B. In Geschäften und Schulen, ist jedoch gemeinsam mit der 3G-Regel bereits am 7. März abgeschafft worden. Am 23. Mai endete dann auch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Luxemburg (20-23)

Ähnlich wie in Belgien gilt in Luxemburg noch eine Maskenpflicht in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen. Schüler mussten im Unterricht bereits das gesamte Schuljahr 2021/22 keine Masken mehr tragen. Die allgemeine Maskenpflicht sowie die 3G-Regel wurden am 11. März abgeschafft. Am 14. Juni folgte das Ende der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Frankreich (24-26)

Auch in Frankreich besteht die Maskenpflicht im Gesundheitsbereich fort. Am 14. März wurde die Maskenpflicht in den meisten Innenräumen (z.B. Geschäfte und Schulen) abgeschafft, zeitgleich mit der Impfnachweispflicht in Gastronomie und Freizeiteinrichtungen. Zuvor wurde die Maskenpflicht bereits am 28. Februar dort aufgehoben, wo ein Impfnachweis zu erbringen war. Seit 16. Mai muss auch in öffentlichen Verkehrsmitteln keine Maske mehr getragen werden. Im Juni wollte die Stadt Nizza wollte die Maskenpflicht im Nahverkehr wieder einführen, ist damit aber vor Gericht gescheitert.

Schweiz (11, 27-30)

Bereits am 17. Februar wurden viele Coronamaßnahmen in der Schweiz aufgehoben. Dazu gehörte die Maskenpflicht in Innenräumen von z.B. Geschäften und Schulen ebenso wie 3G- und 2G-Regeln. Zum 1. April wurden die restlichen bestehenden Maßnahmen aufgehoben, also insbesondere die Maskenpflicht im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie im Gesundheitswesen. Wenn ich schreibe, dass „alle Maßnahmen“ aufgehoben wurden, meint das übrigens tatsächlich alle. So gilt in der Schweiz und in den anderen entsprechenden Ländern z.B. auch keine Isolationspflicht mehr für Infizierte. Die Schweiz war schon über die gesamte Pandemie gesehen liberaler geprägt als ihre Nachbarländer. Beispielsweise gab es in der Schweiz nie Ausgangssperren.

Österreich (31-34)

Österreich ist das einzige unserer Nachbarländer, dass sich in Sachen Coronaphobie mit Deutschland messen kann. Schon im vergangenen Winter waren es vor allem Österreich und Deutschland die international Aufsehen erregt haben mit ihrer rabiaten Diskriminierung Ungeimpfter, die sogar vor Ausgangssperren nicht halt machte. Österreich war dann auch das erste Land, das eine allgemeine Corona-Impfpflicht einführte, welche mittlerweile jedoch ausgesetzt wurde. Dennoch darf man auch in Österreich heute mehr als in Deutschland: Am 1. Juni wurde die allgemeine Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln für 3 Monate ausgesetzt. Nur die Stadt Wien machte eine Ausnahme. Dort gilt eine Maskenpflicht im Verkehr fortlaufend. Im Schulunterricht waren Masken in Österreich übrigens bereits seit dem 21. Februar nicht mehr Pflicht und in Schulgebäuden seit dem 25. April. Die Maskenpflicht in Österreich ist nur ausgesetzt, nicht beendet.

Tschechien (35-37)

Am 14. März wurde die Maskenpflicht in allen öffentlichen Innenräumen aufgehoben. Ausnahmen blieben öffentliche Verkehrsmittel sowie medizinische und soziale Einrichtungen. Seit dem 14. April muss man auch im öffentlichen Nah- und Fernverkehr keine Maske mehr tragen und seit dem 5. Mai gibt es überhaupt keine Corona-Einschränkungen mehr in der tschechischen Republik.

Polen (38-40)

Bereits das ganze Schuljahr 2021/22 mussten Schulkinder im Unterricht keine Maske tragen. Die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Innenräumen sowie alle weiteren Coronamaßnahmen wurden am 28. März abgeschafft.

Ursachenforschung

Was ist also der Grund dafür, dass sich die Deutschen an ihre Masken klammern? Eine klare Antwort habe ich auf diese Frage nicht. Drei mögliche Erklärungen fallen mir ein; über weitere Ideen würde ich mich freuen:

Der erste Grund trägt gerne Fliegen. Während andere Länder die Pandemie langsam aber sicher hinter sich ließen, entschieden die Deutschen sie um 4 Jahre zu verlängern, indem sie Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister ernannten. Dass dem ewigen Mahner und Warner Lauterbach ein Wegfall der Maskenpflicht überhaupt nicht gefallen würde, ist ja allgemein bekannt. Aber ganz alleine könnte Lauterbach natürlich nichts durchsetzen. Warum ist also die Unterstützung für die Maskenpflicht in der Bevölkerung noch so groß und der Widerstand so überschaubar?

Ein wichtiger Teil meines zweiten Erklärungsansatzes sind die „Ungeimpften“. Aber nicht so wie ihr jetzt vielleicht denkt. Mit einer geringen Impfquote hat der deutsche Sonderweg nämlich nichts zu tun. Die vermeintlich außergewöhnliche geringe Impfquote in Deutschland ist ohnehin ein Märchen. Die Impfquote in Deutschland ist deutlich höher als in manchen unserer Nachbarländer und bei Boostern pro Einwohner sind wir sogar Nummer 1! (41) Allerdings bezweifle ich, ob das heute noch irgendeinen Unterschied macht, da sowieso die allermeisten – geimpft oder nicht – mittlerweile eine oder mehrere Coronainfektionen hinter sich haben und somit nicht mehr „immunologisch naiv“ sind.

Wenn ich von „Ungeimpften“ spreche, setze ich diese bewusst in Anführungszeichen, weil ich mich nicht auf diejenigen beziehe, die keine Coronaimpfung erhalten haben, sondern auf das soziale Konstrukt des „Ungeimpften“ als Menschen zweiter Klasse, denen monatelang jede gesellschaftliche Teilhabe erschwert wurde oder gänzlich verwehrt blieb. Zu diesen „Ungeimpften“ gehörten bekanntlich auch nicht-Geboosterte oder mit in Deutschland nicht anerkannten Impfstoffen Geimpfte. Diese sind selbstverständlich nicht selbst für das deutsche Festhalten an Masken verantwortlich zu machen, zumal es mich nicht überraschen würde, wenn die Schnittmenge zwischen „Ungeimpften“ und Maskenpflichtgegnern recht groß wäre. Aber genau diese Schnittmenge ist das Problem. Seit März 2020 wurden Gegner der Coronamaßnahmen in Deutschland von der Mehrheitsgesellschaft diffamiert und lächerlich gemacht. Sicher, wer kontroverse Meinungen vertritt, muss mit Gegenwind rechnen. Aber die Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels und die Entschiedenheit, mit der jeder, der diesen nicht mitgehen wollte, attackiert wurde, war alles andere als gewöhnlich. In der allgemeinen Hetzstimmung 2020 in den sozialen Medien kam es vor, dass man als Mörder bezeichnet wurde, wenn man nur sein Haus verlassen hat.

Nachdem wir Maßnahmengegner im ersten Lockdown zu überrumpelt waren, um irgendeine organisierte Gegenreaktion zu zeigen, kam es im Laufe des Jahres 2020 durchaus zu großen Demonstrationen gegen die Maßnahmen. Die Demonstranten wurden jedoch von Maßnahmenbefürwortern regelmäßig als „Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker“ verunglimpft. Das liegt teilweise daran, dass das eine recht bequeme Art ist, seine politischen Gegner zu schwächen, ohne sich überhaupt inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Teilweise aber auch daran, dass große Teile der Anti-Maßnahmen-Bewegung, namentlich Querdenken, tatsächlich stark von Verschwörungstheoretikern geprägt waren. Einem unangenehm großen Teil der Anti-Maßnahmen-Proteste ging es weniger darum, Kosten und Nutzen der Maßnahmen an sich zu kritisieren, sondern sie agitierten immer gegen den vermeintlichen dahinterstehenden Plan. Damit haben Querdenken und Co. Ihrem Anliegen leider nachhaltig einen Bärendienst erwiesen. Die Großdemos von 2020 gingen schleichend über in die dezentralen Montagsspaziergänge, die sich eigentlich gegen Maßnahmen wie die Impfpflicht richteten, aber auch von Gruppen gekapert wurden, die statt eine freie Impfentscheidung zu fordern, sich darauf konzentrierten, die Impfungen selbst zu kritisieren, mit teils nachvollziehbaren, aber auch oft mit völlig absurden und sensationalistischen Begründungen (Stichwort „Depopulation“).

Versteht mich nicht falsch, ich bin jeder und jedem Einzelnen dankbar, der gegen Maskenpflicht & Co. auf die Straße gegangen ist. Ich ärgere mich sogar ein wenig über mich selbst, dass ich mich von den Verschwörungstheoretikern habe abschrecken lassen, zu Coronademos zu gehen als ich noch in Deutschland gelebt habe. Andererseits: Wenn sogar ich als Maßnahmengegner der ersten Stunde mich von den Querdenkern abgeschreckt gefühlt habe, wie sollte dann jemals die unentschiedene gesellschaftliche Mitte sich diesem chaotischen Haufen anschließen? Leider ist die Identifikation von Maßnahmengegnern mit Extremisten und Verschwörungstheoretikern nun fest im öffentlichen Bewusstsein der Mitte verankert. Und an dieser Stelle komme ich zurück auf die „Ungeimpften“. Während der gesellschaftliche Graben, der 2020 entstanden ist, in anderen Ländern seit 2021 etwas zugeschüttet werden konnte, haben 2G und die Impfpflichtdebatte in in Deutschland diesen immer weiter vertieft. Dass die politische Mitte so wenig Widerstand gegen die Maskenpflicht zeigt, obwohl die meisten Menschen aktuell keine Masken in Geschäften tragen, kann ich mir nur so erklären, dass man sich (bewusst oder unbewusst) nicht mit uns „Covidioten“ gemein machen will oder uns keinen Sieg gönnt.

Ein dritter Grund ist, was ich hier Expertokratie nennen möchte. Zu einer Politikmaßnahme, die so unmittelbar in unseren Alltag eingreift, hat wohl jede und jeder eine Meinung. Dazu gehört auch eine sehr große Zahl von Menschen, die dezidiert ablehnt, eine eigene Meinung zu haben und ihr Urteil voll und ganz „den Experten“ überlässt. Es ist keine neue Entwicklung, dass mündige Bürger die Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht selbst mitgestalten zu wollen, sondern ihr Urteil Autoritäten wie z.B. Religionsführern oder neuerdings wissenschaftlichen Expertenkomitees überlassen. Das steht ihnen selbstverständlich zu. Diese Denkweise hat jedoch in den letzten zwei Jahren eine solche Verbreitung gefunden, dass sie die demokratische Meinungsfindung insgesamt beschädigt. Eigentlich sollte in einer Demokratie das Regierungshandeln der öffentlichen Meinung folgen. Wenn aber die Regierung Experten bestimmt, die wiederum die Regierung beraten und ein kritischer Teil der Öffentlichkeit diese Entscheidungen dann aus Prinzip gutheißt, weil sie ja bereits von den Experten abgesegnet wurde und damit „der Wissenschaft folgt“, dann folgt letztlich die öffentliche Meinung dem politischen Handeln. So fällt mir auf, dass erst seitdem die meisten Coronamaßnahmen beendet wurden, ein großer Teil der Kommentatoren auf den unterschiedlichen Nachrichtenportalen diese kritisieren.

Doch auch unsere Nachbarländer haben Experten. Die dänische Regierung hat sich mit Sicherheit mit ihren wissenschaftlichen Beratern besprochen bevor sie am 1. Februar das Ende aller Coronamaßnahmen verkündet hat. Und längst hat der Wind der Veränderung auch Deutschland erfasst. Die große Mehrheit betritt mittlerweile – trotz hoher Inzidenzen – unmaskiert die Geschäfte und selbst an die Maskenpflicht im Nahverkehr hält sich längst nicht mehr jeder. Wer sich mit einer Maske schützen möchte, soll das auch in Zukunft tun dürfen. Und Infizierte können mit einer Maske andere schützen. Dass gesunde Menschen im Alltag nicht ihr Gesicht zeigen dürfen, war jedoch immer unverhältnismäßig. Die möglichen negativen Wirkungen von Masken sind vielseitig, hier nur eine unvollständige, spontane Liste:

1) Sie erschweren bzw. verhindern nonverbale Kommunikation. Beginnt nicht jede gute Liebesgeschichte im Film mit einem Lächeln?

2) Masken behindern die soziale Entwicklung von Kindern. Die Gesichtsausdrücke anderer Menschen deuten zu lernen ist eine unverzichtbare Fähigkeit. Dazu muss man diese aber auch sehen können.

3) Sie schließen Menschen, die wenig oder gar nicht hören können, völlig aus Gesprächen aus.

4) Masken landen regelmäßig als Plastikmüll in der Umwelt und auch im Meer und tragen zur ohnehin bereits katastrophalen Verschmutzung bei.

5) Auch wenn zumindest bisher die meisten Menschen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durchs Maskentragen erfahren haben: Ob es wirklich gesund ist, ständig durch Plastik zu atmen, ist zumindest fraglich. Bei Menschen mit empfindlicher Haut können Masken allergische Reaktionen auslösen. Zu anderen körperlichen Symptomen, die von Maskenträgern berichtet werden, gehören etwa Kopfschmerzen oder Schwindelgefühle.

7) Für einige gibt es kaum etwas Entwürdigenderes, als das eigene Gesicht verdecken zu müssen, um irgendwo Einlass gewährt zu bekommen. Kein anderer Körperteil steht derart stellvertretend für unsere gesamte Person.

8) Masken erzeugen Angst. Sie symbolisieren, dass andere Menschen vor allem eine Gefahr darstellen und keine Bereicherung.

Gründe gegen die Maskenpflicht gibt es noch mehr. Auch wenn mir der Name nach den letzten zwei Jahren wie Hohn erscheint, so gilt in Deutschland formal die „freiheitlich-demokratische Rechtsordnung“, nicht allein die „demokratische Rechtsordnung“. Grundrechte wie die allgemeine Freiheit der Person dürfen nur eingeschränkt werden, wenn gewichtige Gründe das verlangen und jede Einschränkung muss verhältnismäßig sein. Auch wenn vielen die negativen Wirkungen der Maskenpflicht geringfügig erscheinen mögen, so zeigt doch u.a. das natürliche Experiment der Hotspot-Regelung, dass diesen negativen Wirkungen keine positiven entgegenstehen. Ich bestreite keinesfalls, dass Masken Übertragungen verhindern können, wenn sie von Infizierten korrekt getragen werden. Die Maskenpflicht für Gesunde aber schadet mehr als sie nutzt. Nicht zuletzt, indem sie ein Klima der Angst aufrechterhält. Seien wir lieber mutig wie unsere Nachbarn.

Quellen:

(1) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/fortentwicklung-infektionsschutzgesetzes-ifsg.html

(2) https://www.tagesschau.de/gutachten-sachverstaendigenrat-corona-101.pdf

(3) https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-08-04.pdf?__blob=publicationFile

(4) https://www.tagesspiegel.de/wissen/der-ueberfluessige-lockdown-ja-der-r-wert-sank-schon-vor-der-kontaktsperre-aber-/25767642.html

(5) https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Gericht-kippt-Corona-Hotspot-Regel-in-MV-Das-gilt-jetzt,coronavirus6634.html

(6) https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Hamburg-ohne-Maskenpflicht-Eine-Bilanz-nach-dem-Wochenende,corona10628.html

(7) https://github.com/asjadnaqvi/COVID19-European-Regional-Tracker

(8) https://ourworldindata.org/excess-mortality-covid

(9) https://ourworldindata.org/covid-cases

(10) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/corona-daenemark-lockerungen-101.html

(11) https://www.a-good-reason.eu

(12) https://www.nrz.de/region/niederrhein/niederlande-lockern-weiter-fast-keine-corona-massnahmen-mehr-id232568759.html

(13) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/niederlande-corona-pandemie-maskenpflicht-101.html

(14) https://www.euregio.eu/de/aktuell/covid-19-update-17-februar-2022-schrittweise-lockerungen-in-den-niederlanden/

(15) https://www.vlaanderen.be/maatregelen-tijdens-de-coronacrisis

(16) https://www.wallonie.be/fr/actualites/coronavirus-covid-19-mesures-regionales

(17) https://coronavirus.brussels/nl/2022/07/05/mondmaskerplicht-en-ventileren/

(18) https://www.politico.eu/article/belgium-lift-most-coronavirus-measures/

(19) https://www.politico.eu/article/belgium-ease-last-coronavirus-rules-face-mask-public-transport/

(20) https://covid19.public.lu/de/hygienemassnahmen.html

(21) https://chronicle.lu/category/primary-secondary-schools/37618-mask-mandate-dropped-in-luxembourgs-schools

(22) https://www.luxtimes.lu/en/luxembourg/luxembourg-to-drop-masks-most-other-covid-measures-6221f4ecde135b9236b79875?utm_internal_campaign=magnet_related_articles

(23) https://www.mobiliteit.lu/en/covid19-end-of-mandatory-masks-on-public-transport-from-14-june-2022/

(24) https://www.service-public.fr/particuliers/actualites/A15543?lang=en

(25) https://www.forbes.com/sites/alexledsom/2022/05/12/france-travel-masks-dropped-but-what-about-boosters-and-red-tape/?sh=2f9dc996683e

(26) https://actu.fr/provence-alpes-cote-d-azur/nice_06088/covid-19-le-port-du-masque-finalement-pas-obligatoire-dans-les-transports-a-nice_52348150.html

(27) https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87216.html

(28) https://news.sbb.ch/artikel/95750/coronavirus-ende-der-maskenpflicht-im-oeffentlichen-verkehr

(29) https://www.zg.ch/behoerden/gemeinden/steinhausen/schule/organisation/aktuelles/informationen-zum-coronavirus

(30) https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/aktuell/medienmitteilungen.msg-id-87801.html

(31) https://www.news.at/a/corona-unterricht-schulen

(32) https://www.meinbezirk.at/c-lokales/keine-maskenpflicht-mehr-an-schulen_a5289385

(33) https://www.wien.gv.at/presse/2022/05/31/oebb-ffp2-maskenpflicht-in-zuegen-bussen-und-auf-bahnhoefen-nur-noch-in-wien

(34) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/oesterreich-maskenpflicht-105.html

(35) https://deutsch.radio.cz/maskenpflicht-tschechien-nur-noch-oepnv-und-einigen-einrichtungen-8744334

(36) https://www.expats.cz/czech-news/article/czech-republic-coronavirus-news-for-april-4

(37) https://www.czech-tourist.de/corona-tschechien.htm

(38) https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/panorama/coronavirus/beitraege_neu/2022/03/polen-maskenpflicht-corona-lockerungen-quarantaene.html

(39) https://cde.news/polish-students-to-return-back-to-schools-normally-no-masks-in-class/

(40) https://www.gov.pl/web/coronavirus/temporary-limitations

(41) https://ourworldindata.org/covid-vaccinations

Hier ist der Quellcode für alle von mir erstellten Grafiken: https://github.com/sternenklar/A-Good-Reason/blob/main/Maskenpflicht%20Ende.R

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